… ich schritt aus und träumte davon, wie schön es sein wird, wenn dieses Büchlein erschienen ist und (…) in den Schaufenstern der Buchläden ausliegt …“
(Bohumil Hrabal, Ich dachte an die goldene Zeiten, st 3177, S. 8).

In Zeiten wie diesen: Kann es Literatur noch geben? Darf es Hrabals Freude noch geben?

In Zeiten der Kälte, in Zeiten der Bedrohung und in Zeiten des Vergessens, des Vertreibens und des Abwendens: Sind die wärmenden Worte noch immer Ankerplätze der Seele – steckt in jedem Wort eine Wortgeschichte, die ein ganzes Universum öffnet?

Darf und kann Literatur wie ein Gebet, durch ihre Bilder, durch ihre Melodie, die Seele wärmen und zum Klingen bringen?

Kann sie mehr denn je zum Wärmen in der Fremde beitragen und der Trauer eine Ausdrucksform verleihen, auf dass diese nicht die Seele sprengt und das Herz erdrückt?

Literatur bietet keine Rezepturen an. Die werden wir in Romanen und Gedichten nicht finden. Wenn wir aber Möglichkeiten der Annäherung an die jeweiligen Versäumnisse und Hoffnungen suchen: könnten darin nicht mögliche Lösungsansätze zu finden sein, die jeden Einzelnen herausfordern, sich nicht mit der Oberfläche zu begnügen und auch nicht mit den gegebenen Antworten zufriedenzugeben? Liegt nicht genau darin die geheime Stärke der Literatur, dass sie imstande ist, die Hoffnung, auch wenn sie noch so weit vor einem liegt, aufleuchten zu lassen und ein wenig behilflich zu sein, über die glatte Eisfläche des Seins sich zu bewegen, indem wir Worte als Geh- oder gar Laufhilfe verwenden?

Wenn wir in diesem Zusammenhang über Versäumnisse und von der Suche nach Antworten sprechen, dann mag der Literatur die Fähigkeit innewohnen, zu sehen, was wir besser hätten machen können. Wir haben vielleicht doch die Chance, in Zukunft – und ab heute – das Bessere sofort anzugehen und nicht die Tragödien über uns kommen und uns von ihnen in die Schranken weisen zu lassen.

Wir stolpern immer wieder auf die gleiche Frage zu: Mensch, wer bist du? Wir werden nicht nur Europa erlesen, ob mit Ivanji, Struhar, Brauner, Gruša, Renner oder Pevny, mit Andrea Zink u. v. a. m. Wir werden in den Worten einen Haltegriff suchen und finden. Solange man lebt, wird man träumen. Von einem besseren Leben vielleicht. Ohne Flucht, Krieg und Vertreibung.

Lesen wir – wie unsere 2014 verstorbene liebe Freundin Gerda Neudeck meinte – heiter weiter! Lasst uns lesen, in Schicksale eintauchen, von besseren Leben träumen.

Herzliche Grüße

Ihr

Lojze Wieser

VASKO POPA
Wir werden leben im Zeitalter des Messers

Das große Messer wird alles
Was es berührt entzweischneiden
Sogar uns selbst
Wir werden erleben wie das Messer
Sich selbst auf seiner Spitze aufspießt
Und wie es hingerichtet wird
Von seinen Schneiden
Wir werden unsere Hälften zusammensetzen
Aber sie werden einander
Nicht erkennen

Aus dem Serbischen von Milo Dor

Diese Verse sind Vasko Popas letztes Gedicht, verfasst 1990, kurz vor seinem Tod und am Vorabend von Jugoslawiens Zerfall. In deutscher Übersetzung von Milo Dor publizierten wir es erstmals 1993 im Band Die kleine Schachtel und es fand Eingang in den Kreis meiner Lieblingsgedichte im Lyrikband … und darin fliegt eine Schwalbe.

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