Im dreißigsten Jahr

Pr’ moj duš! Bei meiner Seel’! Was sind schon dreißig Jahre? Immerhin sind es knapp die Hälfte meiner Jahre. Und was sagte der legendäre Programmchef des Verlags Gallimard François Erval zu mir vor dreieinhalb Jahrzehnten: „Sie müssen einen langen Atem haben, so an die fünfundzwanzig, dreißig Jahre!“

Den Atem hatten wir, lieber Herr Erval, nur hätten wir uns sicher manches leichter vorgestellt.

Und nun eine Zwischenbilanz: Was ist geblieben von dem, was wir in den vergangenen dreißig Jahren gemacht haben? Immerhin lag noch zu Beginn der Achtzigerjahre kein Buch aus meiner Sprache in deutscher Übersetzung auf den Ladentischen, die zahllosen anderen Sprachen und Kulturen Südosteuropas waren oft heimatlos, unterdrückt und warteten darauf, einer breiteren Leserschaft bekannt zu werden.

Die Grenze eines Staates ist nicht die Grenze einer Sprache, geschweige denn Kultur.

Das haben wir versucht, der Dank waren Morddrohungen und eine Briefbombe. Soll ich mich darüber grämen oder einfach sagen: zu viel der Ehre?

Gab es je Momente, wo die Leidenschaft des Büchermachens durch Zweifel ins Wanken gekommen wäre? Was hätten wir besser machen können, welche Fehler haben wir gemacht, in welche Fettnäpfchen sind wir nicht getreten? Was soll’s! Die Freude an der Vielstimmigkeit der Literaturen, das Vermitteln von Kulturen, die es zu entdecken gilt, dieser Kosmos von Wundern, an dem ich teilhaben darf – was kann einem Schöneres beschert werden?

Unverdrossen werden wir weitermachen, ein wenig stolz auf das Erreichte und neugierig auf das, was noch kommen mag.

Gehen Sie mit uns – es wird eine wunderbare Wanderung werden!

Ihr
Lojze Wieser

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PS: Auf der Titelseite geben wir das erste Logo des Wieser Verlages von vor 30 Jahren wieder. Es wurde vom Grafiker und Designer Matjaž Vipotnik entworfen. Ende Oktober 2016 ist er 72-jährig in Ljubljana verstorben. Matjaž Vipotnik hat die ersten zehn Jahre als Art-Direktor für den Verlag die Werbemittel gestaltet und gab mehr als 200 Büchern ein edles Gesicht. Diesen Katalog widmen wir in Dankbarkeit Matjaž Vipotnik und erinnern mit einigen seiner schönsten Plakate und Entwürfe aus den 1990er Jahren an sein Credo: „Weil wir zu wenig Geld für Marketing und Werbung haben, machen wir schöne Bücher!“ Er hat Maßstäbe gesetzt! Hvala!