Eine Saxofonie
ca. 300 Seiten, gebunden, Lesebändchen
EUR 21,00 / sfr 30,50

Joris Ebner versuchte kein Held zu sein, er suchte auch nicht wahr oder gut zu sein – das hätte die Hydra nur umso mehr gereizt. Lapidar schreibt Pierre Bourdieu in seinem Klassiker „Die feinen Unterschiede“ am Anfang des Kapitels „Herrschaftseffekte“: Die Anpassung an eine Stellung, in der man unterdrückt ist, impliziert das Akzeptieren dieser Unterdrückung.

Der Protagonist weiß auch, was ihn dazu veranlasste, seine Stellung so lange es eben ging, zu halten. Er versuchte, den Druck der Anpassung zu untergraben, aber es gelang nicht immer. Was er dabei erreichte, war nichts als Tiefschlag und Scheitern – und auch das gab es nicht immer. Ein Jugendtraum zerschellte. Der durch die Schule der Studentenrevolte ging und dessen Lehrmeister Caruso, Basaglia und Erich Fried hießen, stand plötzlich vor einer Mauer. Ende des sogenannten Marsches durch die Institutionen. Er nennt sich Gesundheitsarbeiter oder gar Dichter.

Er bricht aus – in die Krankheit. Gegen die Anpassung und das geforderte Jasagen versucht er sich tapfer zu wehren. Demoralisiert und undiszipliniert denkend verliert er sich, die Gefängniswände will er mit seinen hilflosen Lyrismen und Seufzern abtragen. Enttäuschung, seine mächtige Schwester, steht ihm zur Seite, der er Einzelkämpfer ist, von den anderen gemieden.

In diesem Buch übertreibt einer mit seinem Nachsinnen, und sein Bewusstsein steht zur Disposition, nichts sonst. Aber ist Denken nicht überhaupt Übertreibung? Das Ende ist schrecklich. Er verliert den liebsten Menschen. Dann muss er von vorne beginnen. Vorne von wo? Jedenfalls nicht mehr in Freiheiten. Als Protagonist tastet er nicht länger im Erlaubten.

Die Spur verlassen, er hat keine Identität.
Sein Dasein verbrachte er in einer dumpfen Angst –
mit einer Art kosmischen Störfrequenz im Hintergrund.
Aber im Schreiben versucht er, das Vorgefallene zu verstehen.
Muss er denn seine Geschichte nochmals schreiben?
Er hat nie auch nur ein einziges Buch geschrieben,
er weiß nichts, nichts von sich selbst.

Ingram Hartinger: Geboren 1949 in Saalfelden. Studium in Salzburg. Veröffentlichungen seit 1972. Prosa, Lyrik, Essays und Radioarbeiten. Zuletzt bei Wieser: Rabe des Nichts (2010) und Kigo (2012)

Rezensionen & Reaktionen

Pressestimmen

Literatur und Kritik Nr. 495/496 vom Juli 2015, S. 73-75

Der Standard vom 13. Juli 2015

Fixpoetry.de vom 10. September 2014

Helmut Schönauer, 25. August 2014
Das Saxophon lässt auch bei offenen Augen alles in ein blaues Licht verschwinden, der Blues legt sich auf die Seele, die Landschaft schliert sich ein in herbstliche Töne, das Denken befreit sich von den irdischen Klammern angesichts der Saxophonie. Ingram Hartinger nennt seinen „Roman“ von einem mühsam abgearbeiteten Leben als Psychomaschinist eine Saxophonie. Sein Held Joris Ebner will auf keinen Fall einen Roman und schon gar nicht sogenannte Memoiren schreiben, „indem er Unwichtiges nicht ausließ, gelang es ihm, keine Autobiographie zu schreiben.“ (247) Das verschmutzte Denken läuft in der Hauptsache in einer freien Assoziationskette ab, die zwischendurch in völlig befreite Fügungen mündet. „Wohnen zwischen Wurzel und Wind!“ (72) Eingeklemmt ist die Figur des Psychomaschinisten Joris Ebner in eine wild gewordene psychiatrische Identität, die er sich gegen seinen Willen antut muss. Einst hat er frei studiert und ist angeheitert von der italienischen Psychiatriereform in die Krankenhausfabrik eingetreten, worin er letztlich ein Leben lang zerknirscht und zerrieben worden ist. „Die Jahre im Spital vergingen, minutiös verfiel seine Zeit.“ (93) Als besondere Rache empfindet es der Psychiater, wenn er zu sogenannten Tests eingeteilt wird, wo er sein Gegenüber austesten muss, bis es ins System passt. Auf diese vergitterten Koordinaten sind fugitive Gedanken installiert, die die reine Lehre des Systems jeweils untergraben und wie in einem unsteril gewordenen Labor zu einem verschmutzten Denken führen. „Nichts ist Zufall, alles steht in einem Zusammenhang“ lautet denn auch die halb tröstliche, halb vernichtende Formel, mit der der Protagonist die Gedankengänge zu ordnen versucht. „Bäum dich nicht auf, sei still und staune!“ Äußerlich umrandet wird der Held schließlich von seiner Pensionierung, zwar endet das Dienstverhältnis, aber letztlich ist die Identität als Psychiater bloß in einen neuen Rahmen gehängt worden. Innerlich umrundet und in eine unendliche Spirale versetzt wird Joris durch seine unsterbliche Liebe zu Lina, die man zu Beginn der Saxophonie in den Spitalsapparat schiebt und die sich von allem befreien kann, indem sie stirbt. „Wir sterben, egal wie, und sind tot“. (260) Die Gedankenäste sind besiedelt und benistet von Leitstrahlen der Literatur, Bourdieu, Caruso, Fried werden immer wieder herangezogen in ihrer urtümlichen Leseerfahrung während der Studentenrevolte und dem späteren Leben gegenübergestellt. Der Sieger schneidet Riemen von der Haut des anderen, peitscht damit den anderen. Diese Gewalt-Erfahrung zieht sich durch alle Reformen und Zeitgeistverschiebungen. Am Schluss sitzt der Held vor der Waschmaschine, als ob sie sein verschmutztes Denken bearbeiten könnte, vielleicht ist er auch „nur der Literatur auf den Leim gegangen“. Ingram Hartinger hat mit dieser Saxophonie einen aufgewühlten Weg gefunden, den Leser in den Strudel des Denkens zu ziehen ohne ihn dabei hinauszuschleudern aus dem Thema. Und gerade die straffe Außensicht auf den Helden macht diesen so sympathisch, dass man mit ihm mit zittert all seine Tage, all seine Gedanken hindurch.