ca. 280 Seiten, gebunden, Vor- und Nachsatz, Lesebändchen, Prägedruck
EUR 14,95 / sfr 21,00

Nie sah ich die Heide
schöner bestellt,
als helle Augenweide
den grünen Wald.
Durch Heid’ und Wald spüren wir
den Mai schon.
Ihr Mädchen, bildet Pärchen
Und tanzt gar fröhlich durch diese schöne
Sommerzeit.

„Den sie alle nennen
Von Reuental
und seine Lieder kennen
Allüberall,
der ist mir hold. Dem lohne ich das sehr.
Wie er es haben will,
So schmück ich mich. Auf, auf, man läutet
schon zur Non.“

Der Salzburger Altgermanist Franz Viktor Spechtler hat uns einen weiteren Pop-Literaten des Mittelalters ins Neuhochdeutsche übersetzt: Neidhart von Reuental. Der Name ist ein ironisches Pseudonym. Die wahre Identität des späten Zeitgenossen Walters von der Vogelweide ist nicht bekannt. Neidhart heißt so viel wie Neidling oder Teufel, und das Reuental ist das, was es heißt: das Tal der Reue. Dort befindet man sich nach unmäßiger Völlerei und Liebelei. Am Beginn des 13. Jahrhunderts beginnt die Zeit des schönen, höfischen Minnesangs endgültig zu schwinden. Und das besingt der „freche Dichter“ auch, der sich zuerst am bayrischen Herzogshof, später bei den Salzburger Fürsterzbischöfen sein Brot verdient und zuletzt am Wiener Hof des Babenbergers Friedrich II. so wie vor ihm Walther „sein Lehen“ erhält.

Neidharts Lieder waren in der neuen Dur-Melodik (Pentatonik) verfasst, zu der es sich besser tanzen lässt, und sie waren so beliebt und eingängig, dass sie als Liedtypus „Neidhart“ bis ins 16. Jahrhundert gespielt und gesungen wurden. Von keinem anderen deutschsprachigen Autor blieben so viele Melodien erhalten. Zahlreiche Texte wurden bedenkenlos weiter- und nachgedichtet; von Plagiat war damals noch keine Rede. Sprechende Verballhornungen von Namen seiner Figuren und groteske Szenen spiegeln die Realität viel eher als der hehre Minnesang der früheren Jahre. Den Spottnamen „Gimpel-Gempel-Sänger“ erhielt Neidhart für seine teilweise deftigen erotischen Passagen. Daneben ist er Verfasser von einfühlsamen Winterliedern und Liedern über die Strapazen des Kreuzzugs 1228, an dem er auch selbst teilgenommen hatte.

Die vorliegende Auswahl im Wieser Verlag macht die wichtigsten Lieder in rhythmischer Übersetzung ins Neuhochdeutsche zugänglich und soll auch Lust auf die – vollständig edierten – Originale machen.

Franz Viktor Spechtler ist Professor für Ältere Deutsche Sprache und Literatur an der Universität Salzburg und Spezialist für mittelhochdeutsche Dichtung Österreichs. Er habilitierte mit einer Arbeit zu Ulrich von Liechtenstein und transkribierte dessen Dichtungen »Frauendienst« und »Frauenbuch«. Spechtler ist Verfasser zahlreicher Monographien und Aufsätze zu verschiedenen mediävistischen Themen. Bei Wieser erschienen: Ulrich von Liechtenstein (2000), Walther von der Vogelweide (2003), Mönch von Salzburg (2004): ferner gemeinsam mit Barbara Maier: Ich – Ulrich von Liechtenstein. Literatur und Politik im Mittelalter (1999), Oswald von Wolkenstein (2007).