Kleine Prosa
ca. 200 Seiten, gebunden, Lesebändchen
EUR 21,00

Großvater Ivo versteckt jugoslawische Dinar im Radio. Mutter hat nur Augen für den Sänger Zdravko Čolić. Vater rollt im LKW durch die Nacht. Großonkel Tomo verbrennt seinen Pass. Wenn der Zahnteufel Großmutter quält, zündet sie sich eine Zigarette an. Auf dem Eiffelturm steckt eine Erdbeere und Supermarios Kopf landet in der schäumenden Kakaotasse. 99 lyrische Prosaminiaturen eröffnen ein Familienpanorama zwischen Sarajevo, Völkermarkt und Wien. Erinnerungsstücke fügen sich als Mosaik zu Geschichten der Flucht und Fernsehsucht. Es sind Märchen für Erwachsene, die in die Welt des Kitsch, des Kommunismus und eines Kärntner Schützenvereins führen. Die Autorin findet eine spielerische Sprache für die fürchterlichen Absurditäten des Fremdseins. Garantiert herzchenerwärmend!

Gestern hat Mutter leckere Sarma gekocht. Die kleinen salzigen Krautwickel dampften auf dem Teller und lockten meine Nase. Wenn ich verkühlt bin oder mich schwach fühle, schniefe ich sie mir herbei. Zu Weihnachten thront Sarma auf unserem Festtagstisch. Bei jedem Bosnienbesuch begrüßt sie uns in Omas Kochtopf. Sarma leitet sich von „Sarmak“, zu Türkisch „etwas in etwas einwickeln“, ab. Meine Cousinen in Bosnien lernen schon im Kindesalter, wie man das Kraut in die Salzlake einlegt und die Sarma wohlgeformt wickelt. In Anatolien werden junge Frauen angeblich auf die Probe gestellt: Sie müssen sich vor den Augen der künftigen Schwiegereltern in der Sarmakunst beweisen. Ich hätte diese Probe nie bestanden. Mutters Kochkunst hat mich derart verhätschelt, dass ich bislang kein Krautblatt krümmen musste. Doch im Winter werde ich selbst zur Sarma und wickle mein Fleisch in zahllose Hüllen und Decken. Wenn mich nicht mehr friert, wickle ich mich weiter in Worte und versuche meine Schwiegereltern mit einzuwickeln. Die Sarma hat uns fest im Wickel.

Manuela Tomić, geboren 1988 in Sarajevo, aufgewachsen in Völkermarkt. Arbeitet als Journalistin (Die Furche), schreibt Prosa und Lyrik und ist Hörspielautorin (Verlag der Autoren). 2021 erreichte sie bei dem Hörspielwettebewerb Track‘5 den zweiten Platz. Ihr zweisprachiges Hörspiel Blasse Stunden/Blijedi sati wurde 2023 auf Ö1 ausgestrahlt.