Literaturschauplatz Pazin
740 Seiten, Fadenheftung, gebunden, Prägedruck, bedruckter Vor- und Nachsatz, Lesebändchen
EUR 25,90 /sfr 43,30
Zum Buch:
Der Roman »Mathias Sandorf«, eine Geschichte des Widerstandes der Magyaren gegen die Vorherrschaft der Habsburger innerhalb der k. und k.-Monarchie. Der Anführer Mathias Sandorf wurde in die Festung von Pazin verbracht und dort festgehalten. Für die Schergen ein sicherer Ort, über einem Felsvorsprung gelegen, der eine Flucht von vornherein scheinbar ausschloß.
Aus dem Buch:
ERSTES KAPITEL
Die Brieftaube
Triest, die Hauptstadt des Küstenlandes, teilt sich in zwei einander sehr wenig gleichende Städte: in eine neue und reiche, die Theresienstadt, die sich geradlinig am Rande der Bai erhebt, welcher der Mensch erst den festen Baugrund abringen mußte, und in eine arme, armselige; letztere ist unregelmäßig gebaut und liegt eingeklemmt zwischen dem Korso, der sie von der ersteren trennt, und den Abhängen der Höhen des Karst, deren Gipfel eine malerisch ausschauende Zitadelle krönt. In den Hafen von Triest hinein ragt der Molo von San Carlo, an dem vorzugsweise die Handelsschiffe ankern. Dort sammeln sich mit Vorliebe, und oftmals in beunruhigender Anzahl, Gruppen von jenen Umherlungerern, welche nicht Haus und nicht Herd kennen und deren Anzüge, Beinkleider, Jacken oder Westen der Taschen völlig entbehren könnten, weil ihre Eigentümer niemals etwas besessen haben, was sie dort hinein hätten tun können, und wahrscheinlich auch niemals dergleichen besitzen werden.
An jenem Tage aber, dem 18. Mai 1867, hat einer oder der andere vielleicht doch zwei Personen inmitten dieser Heimatlosen bemerkt, welche durch bessere Kleidung sich auszeichneten. Es schien wenig wahrscheinlich, daß diese jemals wegen fehlender Gulden und Kreuzer in Verlegenheit gewesen waren, wenigstens sprach ihr Aussehen zu ihren Gunsten. Es waren, um der Wahrheit die Ehre zu geben, Männer, die auf jeden einen günstigen Eindruck machen mußten.
Der eine hieß Sarcany und nannte sich Tripolitaner, der andere, ein Sizilianer, wurde Zirone gerufen. Nachdem beide den Molo wenigstens zum zehnten Male abgeschritten hatten, machten sie auf der äußersten Spitze desselben halt. Dort blickten sie nach dem Meere hinüber, welches westlich vom Golf von Triest den Horizont begrenzt, als müßte dort plötzlich das Schiff auftauchen, welches ihnen ihr Glück bringen sollte!
»Wie spät ist es?«, fragte Zirone in seinem italienischen Dialekt; den sein Gefährte ebenso geläufig sprach wie die Mundarten der übrigen Länder am Mittelmeer. Sarcany gab keine Antwort.
»Was bin ich doch für ein Dummkopf!« rief der Sizilianer. »Es ist die Stunde, in der man Hunger verspürt, wenn man sein Frühstück einzunehmen vergessen hat.«
Die österreichischen, italienischen, slawischen Elemente zeigen sich in jenem Teile des österreichisch-ungarischen Reiches so miteinander vermischt, daß das Zusammenstehen unserer beiden Personen in keiner Weise die Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte, obwohl sie augenscheinlich sich als Fremde in jener Stadt aufhielten. Überdies konnte niemand ahnen, daß ihre Taschen leer waren, denn sie trugen sich ziemlich stolz unter dem Kapuzenmantel, der ihnen bis auf die Stiefel hinabreichte.
Sarcany, der Jüngere von ihnen, von mittlerer Größe und gut gewachsen, mit eleganten Manieren und Bewegungen, stand im fünfundzwanzigsten Lebensjahre. Sarcany hieß er, ohne einen weiteren Zusatz. Einen Taufnamen führte er nicht. Und er war auch tatsächlich nicht getauft, da er, Afrikaner von Geburt, aus Tripolis oder Tunis stammte; trotzdem seine Gesichtsfarbe von einem dunklen Braun war, so glich er dennoch durch die Regelmäßigkeit der Züge mehr einem Weißen als einem Neger. Wenn jemals eine Physiognomie täuschen kann, so war es bei Sarcany gewiß der Fall. Man hätte schon ein sehr scharfer Beobachter sein müssen, um aus diesem regelmäßig geformten Gesicht, den schwarzen und schönen Augen, der edlen Nase, dem wohlgeformten und von einem schwachen Barte beschatteten Munde die grenzenlose Verschlagenheit des jungen Mannes herauslesen zu können. Kein Auge wäre imstande gewesen, auf diesem fast unbeweglichen Antlitze die Zeichen der Abscheu, der Mißachtung zu erkennen, welche ein unentwegter Kampf gegen die Gesetze der Gesellschaft ihm einzugraben pflegt. Wenn die Physiognomiker behaupten – und zwar behalten sie in den meisten Fällen recht -, daß jeder, der sich verstellt, seiner Geschicklichkeit zum Trotze, gegen sich selbst zeugt, so stellte Sarcany dieser Behauptung eine förmliche Verneinung entgegen. Wer ihn sah, konnte nicht ahnen, was er war, was er gewesen. Seine Erscheinung rief in nichts den unbezwingbaren Willen wach, den Spitzbuben und Räuber einzuflößen pflegen. Er war deshalb nur um so gefährlicher.
Rezensionen & Reaktionen
Pressestimmen
Der Klagenfurter Wieser Verlag hat deshalb die elegante und informative Reihe »Europa erlesen« gegründet, die verschiedene literarische Visionen einer Gegend oder einer Stadt vorstellt. Bereits die Titel lassen erkennen, daß hier das Unbekannte gleichberechtigt neben das Berühmte tritt. Entworfen werden soll eine kulturelle Anatomie Europas, die den Zusammenhang des Ganzen, aber auch die eigenständigkeit der Teile faßt. Gerade in einer Zeit, die im Osten politische und im Westen ökonomische Grenzlinien zu Fetischen kultureller Identität macht, kommt der Aufmerksamkeit für Randregionen ein gesteigerter Wert zu: In der Schnittmenge von Eigen- und Fremdbild entsteht das unverwechselbare Profil von Gegenden, die sich selbstbewußt in die Vielfalt Europas einpassen.
Neue Zürcher Zeitung
„Echte Kulturmenschen erkennt man in Zukunft daran, ob Sie dieses kleine Büchlein eingesteckt haben.“
Karin Resetarits, ORF
„Eine Einstiegsdroge – ohne diese kleinen Bände mag man gar nicht mehr verreisen.“
Uschi Loigge, Kleine Zeitung
„Handlich, mit Goldprägung und Lesebändchen sind die kleinformatigen Büchlein wahre Kleinodien.“
Tobias Gohlis, Die Zeit