Herausgegeben von Rumiana Ebert. Aus dem Bulgarischen übersetzt von Rumiana Ebert und Ines Sebesta.
161 Seiten, gebunden, Lesebändchen
EUR 18,80 / sfr 32,80
ISBN 978-3-85129-897-0

Georgi Markov war in Bulgarien nicht nur ein gefeierter Schriftsteller, der trotz aller Privilegien aus seiner Heimat geflüchtet ist, er war vor allem eine Institution, ein Vorbild für Freiheit und ein Mensch, der sich stets selbst treu blieb. Für seine Reportagen in westlichen Sendern ist er vom bulgarischen Geheimdienst mit Zustimmung Russlands ermordet worden. 2001 wurde ihm posthum für seinen Mut und seine künstlerischen Leistungen die höchste staatlichen Auszeichnung Bulgariens, die »Stara Planina«, verliehen.

Markov schildert in dem Roman Die Frauen von Warschau die Begegnung zwischen dem Geologen Pavel und dem Schafhirten Jordo. Nach seinem Studium in Warschau kehrt Pavel in sein Heimatland Bulgarien zurück und wird vom Staat als Landvermesser in eine öde Gebirgsgegend geschickt. Dort – am Dschendem Bair, dem Höllenberg – sind vor ihm bereits acht Vermessungstrupps gescheitert. Unerbittliche Einsamkeit, sengende Hitze bei Tag und spukhafte Geräusche jagen die Menschen in die Flucht.

Schon nach kürzester Zeit verlassen seine Mitarbeiter auch Pavel. Nur er bleibt und erzählt dem Hirten Yordo jeden Abend über die Frauen von Warschau. Der Alte hört ihm gespannt zu und lässt sich wie ein Kind die immer gleichen Begebenheiten in immer gleicher Weise schildern, bis er immer schweigsamer wird. Hat die Konfrontation mit dieser so ganz anderen Welt den Hirten seiner eigenen Wirklichkeit entfremdet? Die Erzählungen Pavels treiben beide Protagonisten unaufhaltsam einem dramatischen Höhepunkt zu.

Seine Augen waren dunkel. Doch ich bin mir fast sicher, dass sie nicht schwarz waren. Sicherlich hatten sie eine dunkle Farbe, die mal grün und mal  blau schimmert, wodurch sie sich stark verändern konnten. Augen, die durch ihre Unverschämtheit zu verwirren und durch ihre starke Ausdruckskraft zu überraschen vermochten, rätselhaft und anregend für die Fantasie. Pavels Freunde behaupteten, seine Augen hätten stets gelacht und sehr heiter und sorglos in die Welt geblickt. Ich nehme an, dass das nicht ganz stimmt, dass sein ruhiges Lächeln und der heitere Gleichmut seines Gesichtes viele auf die falsche Spur führten.

Laut seinen Bekannten sei seine Stimme das Interessantere gewesen. Bassbarition mit angenehmen Höhen, wirklich bezaubernd. Man habe stundenlang neben ihm sitzen und ihm zuhören können, ganz gleich worüber er sprach. Dazu muss ich aber bemerken, dass dies nicht nur am Wohlklang seiner Stimme lag. Er war als ein außerordentliche talentierter Erzähler bekannt. Es sein in Warschau des öfteren vorgekommen, dass man die ganze Nacht über wach blieb, wenn er von seinen Erlebnissen berichtete. Diese Erzählungen begannen wie die Erläuterung von etwas Unwesentlichem. Er erzählte mehr oder weniger sprunghaft, mit einem Lächeln und leiser Selbstironie. Keiner zweifelte an der Wahrheit der Geschichten, und ebendiese Wahrhaftigkeit gefiel am meisten.

 Georgi Markov, 1929 in Sofia geboren, veröffentlichte 1961 seine ersten Erzählbände. 1963 debütierte er mit Die Frau des Käsehändlers als Dramatiker, es folgten zahlreiche Bühnenstücke, Drehbücher, Romane und Novellen. Nach wiederholtem Publikationsverbot emigrierte Markov 1969 zunächst nach Italien. Später ließ er sich in London nieder, wo er für die bulgarische Abteilung der BBC tätig war, arbeitete für die Deutsche Welle und für Radio Free Europe. Am 7. September 1978 wurde Georgi Markov Opfer eines Giftmordanschlags, der als »Regenschirmmord« durch die Weltpresse ging. Er starb vier Tage später.

Rumiana Ebert stammt aus Bulgarien, studierte an der LMU München Chemie. Sie ist Schriftstellerin und Übersetzerin, erhielt 2007 den Heinrich-Vetter-Literaturpreis der Stadt Mannheim.