Erzählungen
Auswahl und Übersetzung aus dem Tschechischen von Christa Rothmeier

182 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
EUR 12,95 / sFR 23,60
©1993

Aus dem Buch
Der Morgen ist grün, in der Kirche läutet man zum Hochamt, aber ich muß nicht hin, dafür mag ich die Glocken  sehr, sie gießen Sonne aus, ärgerlich, daß ich nicht barfuß auf die Gasse darf, also gehe ich wenigstens nur in Schuhen, auf dem Dorfplatz stelle ich fest, daß von den Wangen der Männer über Nacht irgendwie auf geheimnisvolle Weise die Borsten verschwunden sind, alle Gesichter sind glatt und haben Schnitte, darum bin ich ihnen neidig, ich lungere vor der Kirche herum …

Rezensionen & Reaktionen

Pressestimmen

Kleine Rezension über Jan Skácel

(Sigrid Grün)

Der tschechische Dichter Jan Skácel ist eine Entdeckung. Für mich persönlich die literarische Entdeckung dieses Jahres. Neben Gedichten (v.a. Vierzeilern) hat der 1922 in Vnorovy geborene Mährer zahlreiche kleine Erzählungen verfasst, die vor allem in der Brünner Literaturzeitschrift “Host do domu” (Der Gast ins Haus), die der Tschechoslowakische Schriftstellerverband monatlich herausgab, erschienen. In dem Band Das elfte weiße Pferd sind verschiedene journalistische Texte zusammengefasst, die Skácel selbst als “malé recenze” (kleine Rezensionen) bezeichnete. Der Band erschien erstmals 1964 in tschechischer Sprache. Viele Jahre später hat Christa Rothmeier die Texte kongenial ins österreichisch angehauchte Deutsche übertragen.

Die Texte sind oft inspiriert von Kindheitserinnerungen Skácels. Da geht es zum Beispiel um einen typischen Sonntag in seiner Kindheit. Als Junge stiehlt er Äpfel, “wenn möglich unreife, es ist eine Sünde und eine Sünde am Sonntag ist erstklassig” und schmiert sich Hühnerdreck ins Gesicht, denn das ist “was Ausgezeichnetes für den Bartwuchs, wenn man ihn sich ums Maul schmiert, weil er zieht, das ist verbürgt”. Auch Erinnerungen an kindliche Kino- und Leseerfahrungen werden lebendig geschildert. Oder es geht um unerfüllte Weihnachtswünsche (Eine Harfe im Schnee). Die Kindheit spielt eine wichtige Rolle in Skácels Werk. Er verklärt diesen Lebensabschnitt allerdings nicht, sondern setzt sich auf eine sehr schöne Art und Weise damit auseinander – z.B. wenn er Filme fordert, die für Erwachsene verboten sind und etwa nur für 10-jährige erlaubt. Besonders schön ist übrigens Die blaueste Kursivglosse. Am Geburtstag der Mutter überlegt die ganze Familie, was man ihr schenken könnte. Man erinnert sich daran, dass es bei der Mutter immer Zwetschkenfleck (Zwetschkenkuchen) gegeben hat. Weil man annimmt, dass die Mutter dieses Gebäck selbst gerne isst, bäckt man ihr einen zum Geburtstag. Die Mutter äußert dann irgendwann: “Ich hab Zwetschkenfleck mein Lebtag nicht leiden können. [Aber] was hätte man denn das ganze Leben ständig kochen sollen?” Sehr schön!
Skácels Texte entbehren nicht selten einer gewissen Komik und sind gleichzeitig voller Weisheit.
Auch kritische Texte findet man in dieser Sammlung. So zum Beispiel Wie der tschechoslowakische Rundfunk in ?idlochovice eine Nachtigallenaufnahme machte. Darin geht es darum, dass man den Gesang eines Singvogels nicht einfach einfangen kann. Skácel, der lange Jahre seine Texte nur im Untergrund veröffentlichen konnte, spielt darin auf die Freiheit des Künstlers an, dessen Kunst man sich nicht einfach zunutze machen kann.
In der Kleinen Rezension über den eigenen Tod erzählt der Dichter davon, wie er sich seinen eigenen Tod wünscht. Anfang August möchte er mit der Lokalbahn von Neuhaus nach Neubistritz fahren – und dort, am Bahnhof, soll ihn der Tod erwarten.
Skácels Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen. Er starb am 7. November 1989 in Brünn, nachdem er von einem seiner Spaziergänge zurückgekehrt war. Zehn Tage vor dem Beginn der “Samtenen Revolution”, die den Systemwechsel von der sozialistischen Diktatur zur Demokratie markierte.

Jan Skácel (Autor)
Das elfte weiße Pferd
www.wieser-verlag.de
177 Seiten für 12,95 Euro

http://www.kultur-ostbayern.de/?p=2048