Übersetzung Kristina Kallert
ca. 250 Seiten, Lesebändchen, gebunden
EUR 14,80 / sfr 25,50

Der Held, der Heiler, russisch als „Vrac“ bezeichnet, kommt aus dem mystischen Theatermilieu, in dem szenische Fantasien sehr leicht zur Lebensphilosophie werden. In einer grotesken und tragikomischen Art werden hier stalinistische Vergangenheit und postkommunistisches Chaos in einem endlosen Monolog dargestellt. So wie eine Premiere des Tabu-Autors Marquis de Sade. Martin Ryšavý wendet sich nach seinem 2008 geschriebenen Sibirien-Roman darin wieder einem russischen Thema zu.

Denn wer eigentlich ist der Marquis de Sade? Marquis de Sade sagt allen Enzyklopädisten und sonstigen Revolutionären: Sobald ihr irgendeines eurer Ideale zu Ende denkt, begreift ihr, dass der Weg zu ihm in einem Blutbad endet. Jedes bisher nicht gekannte Gute bringt auch ein nicht gekanntes Übel mit sich. Sobald ihr die Grenzen aufhebt, sobald ihr dem Menschen die Freiheit gebt, gebt ihr ihm auch die Freiheit zur Gräueltat. Jede Utopie hat ihre dunkle Seite, auch eure. Mit anderen Worten: Werde ich alle meine Bedürfnisse erfüllen dürfen, werde ich jeden, der mir im Weg steht, fällen. Und habe ich jemanden in meiner Macht, kann ich tun mit ihm, was ich will. Und was will ich denn eigentlich? Ich will die Menschen quälen, töten, ich werde den Betreffenden also zunächst quälen und dann töten. Aber der größte Witz dabei ist: Wenn jemand sich meiner bemächtigt und ich werde der Gequälte sein, dann bleibt mir nichts anderes, als daran Gefallen zu finden. Weil ich leben will, weil mich das Gefühl der eigenen Wichtigkeit zu leben zwingt, und dann beginnt dieser raffinierte Trick, jene Dichotomie, die später Sadomasochismus genannt werden sollte: Ein Mensch, der mich quält, ergötzt sich daran, dass er mich quält, und auch ich ergötze mich daran, dass er mich quält.

Ein Sibirien-Roman, in dem sich Sadomasochismus als historischer Materialismus vorstellt.
György Dalos

 

Theater bringt die Heilung

Ausgezeichnet mit dem Bank Austria Literaris 2012: Ein Monolog aus Sibirien, gehalten von einem Mann des Theaters, der als Straßenkehrer arbeiten muss und Sadomasochismus in Zusammenhang bringt mit den Qualen unter dem Stalinismus und dem Chaos nach dem Kommunismus. Eine Groteske des Prager Autors Ryšavý über Heilung durch die Kunst. Peter Pisa im Kurier vom 04.03.2013

Martin Ryšavý, geb. 1967 in Prag, Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur. Studierte an der Karls-Universität Biologie und danach Regie. Derzeit arbeitet er als wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Regie und Dramaturgie der Prager Akademie der musischen Künste. Ryšavý hat mehrere ethnografische Dokumentarfilme gedreht und einige Drehbücher verfasst. Nicht selten, dass aus einer seiner Erzählungen eine Filmvorlage wurde und umgekehrt aus einem Drehbuch ein Erzähltext. Für seinen zweibändigen Roman Cesty na Sibir (2009, Reisen nach Sibirien) erhielt er 2009 den Magnesia Litera, den renommiertesten tschechischen Literaturpreis, den er 2010 gleich noch einmal für sich verbuchen konnte – für seinen hier erstmals auf Deutsch vorliegenden Roman Dimitrij der Heiler, im Original Vrac. Publikationen: Lesní chodci, 2001 (Die Waldgänger), Cesty na Sibir, 2008 (Reisen nach Sibirien) Vrac, 2010 Stanice Ctyrsloupový ostrov, 2011 (Station Vier-Säulen-Insel). Bank-Austria-Literaris-Preisträger 2012.

Bank Austria Literaris
Der Große Preis für Literatur aus dem Osten und Südosten Europas wird von der Bank Austria, KulturKontakt Austria und dem Wieser Verlag alle zwei Jahre vergeben.

2006 wurden mit dem Bank Austria Literaris ausgezeichnet: Teodora Dimova Die Mütter, Anna Zonová Zur Strafe und zur Belohnung, Florin Lazarescu Unser Sonderberichterstatter.
2008 wurden ausgezeichnet: Agda Bavi Pain Am Ende der Welt, Srdan Valjarevic Como, Palmi Ranchev Ein bißchen Glück für später und Rudolf Jurolek Das Leben ist möglich / Život je možný.
2010 wurden ausgezeichnet: Renata Šerelyte Blaubarts Kinder, Ákos Fodor Gongklänge, Boris Chersonskij Familienarchiv.