Als mein Mann im August 2005 erkrankte, hatte er erst einige wenige Gedichte der vorliegenden Sammlung aus seinen handgeschriebenen Arbeitsbüchern in den Computer übertragen. Es lag ihm sehr viel daran, diesen Gedichtband fertigzustellen. Anfang September, als er das Krankenhaus vorübergehend verlassen konnte, begann ich die noch fehlenden Gedichte für ihn abzutippen. Viel länger als eine Stunde pro Tag konnte er sich nicht auf die Arbeit konzentrieren. Aber es waren für uns die schönsten, intensivsten Stunden des Tages. Wir waren ganz auf die Arbeit und aufeinander konzentriert, konnten die Krankheit und die Bedrohung für kurze Zeit ausblenden, fanden einen Augenblick der Ruhe und Sammlung. Es waren Momente großer Nähe.
Ende Oktober musste Gerhard wieder ins Krankenhaus. Seiner einfühlsamen, engagierten Ärztin verdanken wir, dass er ein Einzelzimmer bekam, in das man ein zweites Bett für mich stellte. Ich konnte also Tag und Nacht bei ihm sein. In diesem Zimmer setzten wir die Arbeit fort. Da Gerhard schon sehr geschwächt war, tippte ich die Texte zunächst ohne seine Hilfe ab und las sie ihm erst später vor, zuletzt bloß die Stellen, die schwer zu entziffern waren. So konnte ich mehrere Stunden täglich schreiben und auch das Taccuino su Nuova York a distanza fertigstellen, eine Art Tagebuch in poetischer Prosa, das in der Übersetzung von Leopold Federmair 2007 erscheinen soll. Wenige Tage vor Gerhards Tod begann ich mit dem Korrekturlesen. Wir konnten noch alle Änderungen miteinander besprechen. Noch am Vormittag des 1. November, dem Tag, bevor er starb, diktierte er mir letzte Verbesserungen. Da war er schon sehr kurzatmig und konnte kaum sprechen.
Gerhard arbeitete also bis zuletzt. Dadurch stellte er der Krankheit etwas entgegen. Er wollte sich nicht als Patient definieren lassen. Er wollte den Augenblick leben – selbst unter diesen äußersten Umständen.
(Hannelore Kofler, Mai 2006)
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