ca. 200 Seiten, gebunden, Vor- und Nachsatz,
Lesebändchen
EUR 21,00 / sfr 35,50
Zum Buch:
Was ist das Jüdische an den zwölf Geschichten, die der unermüdliche Erzähler Adam Zielinski seinen Leserinnen und Lesern anvertraut? Dass der Agnostiker ganz selbstverstandlich mit Gott redet? Dass das Stigma der Beschneidung thematisiert wird? Dass in ihnen das galizische Schtetl lebendig wird und doch für immer verschwindet? Dass sie das Trauma des Holocaust illustrieren? Oder machen Selbstironie und die Herkunft des Autors, die jahrtausend alte Weisheit, der hintergrundige Humor das Judische dieser Erzählungen aus? Adam Zielinski liefert keine Erklärung. Es sind Geschichten, beilaufige Geschichten, die er erzählt. Und dennoch ist es das Jüdische, was immer das auch ist, das sie zusammenhält. Mit seinen Erzählungen beschwört der Autor alte Zeiten und bricht doch zu neuen Ufern auf. Er spielt mit Stereotypen und Klischeevorstellungen, bis sie zerbrechen und ihr wahres Dahinter hervorkommt.
Aus dem Buch:
Gerhard Kamintzky kam auch als Rentner nur selten nach Wien. Was hatte er hier zu tun gehabt? Wenn er nach Wien kam, dann nur, um auf dem Zentralfriedhof am Grab der Witwe Konigstetter Blumen niederzulegen. Einmal irrte er in der Innenstadt herum und gelangte vom Stephansdom unversehens zur Synagoge in der Seitenstettengasse. Als er hineingehen wollte, um Gott um Gnade fur die Mame und den Tate zu bitten, wurde er von zwei jungen Türstehern angehalten: »Weshalb kommen Sie hierher?« »Ich möchte beten.« »In der Synagoge?« »Ja.« »Aber Sie sind doch kein Jude!« »Kein Jude?« wunderte er sich. »Doch, eigentlich schon.« »Was soll das heisen: eigentlich?« Man bat ihn zu einem Seiteneingang. Wie sollte er ihnen verdeutlichen, was er mit »eigentlich« gemeint hatte? »Vielleicht gehe ich besser wieder«, meinte er.Sie hielten ihn nicht davon ab. Beim Weggehen hörte er einen Wächter zum anderen sagen: »Das war wohl ein Provokateur oder eher ein Meschuggener. Wenn ein Goj plötzlich ein Jude sein will, dann ist das ein Fall für die Psychiatrie.«
Adam Zielinski, 1929 im damals polnischen und heute ukrainischen Drohobycz geboren und im nahen Stryj aufgewachsen, hat in Krakau und Warschau studiert und ist 1957 nach Österreich emigriert, wo er bis in die achtziger Jahre als Geschäftsmann erfolgreich tätig war. Als Schriftsteller ist er ein Spätberufener, denn seinen ersten Roman hat er im Alter von sechzig Jahren veröffentlicht. Adam Zielinski gehört mittlerweile zu den Hausautoren des Wieser Verlages. Er ist ein begnadeter Erzähler, der aus einem reichen Fundus an Erfahrungen schöpfen kann.