Deutsch-Italienisch
132 Seiten, gebunden, bedruckter Vor- und Nachsatz,
Lesebändchen, Prägedruck
EUR 14,95 / sfr 21,00
FAN 9783851296204

ISBN- 10 3-85129-620-6

Zum Buch

konzentriert/in derperipherie/jongleur/der ernsten/ dinge/wirst du/gehen in dem/was bleibt


Als mein Mann im August 2005 erkrankte, hatte er erst einige wenige Gedichte der vorliegenden Sammlung aus seinen handgeschriebenen Arbeitsbüchern in den Computer übertragen. Es lag ihm sehr viel daran, diesen Gedichtband fertigzustellen. Anfang September, als er das Krankenhaus
vorübergehend verlassen konnte, begann ich die noch fehlenden Gedichte für ihn abzutippen. Viel länger als eine Stunde pro Tag konnte er sich nicht auf die Arbeit konzentrieren. Aber es waren für uns die schönsten, intensivsten Stunden des Tages. Wir waren ganz auf die Arbeit und aufeinander konzentriert, konnten die Krankheit und die Bedrohung für kurze Zeit ausblenden, fanden einen Augenblick der Ruhe und Sammlung. Es waren Momente großer Nähe.
Ende Oktober musste Gerhard wieder ins Krankenhaus. Seiner einfühlsamen, engagierten Ärztin verdanken wir, dass er ein Einzelzimmer bekam, in das man ein zweites Bett für mich stellte. Ich konnte also Tag und Nacht bei ihm sein. In diesem Zimmer setzten wir die Arbeit fort. Da Gerhard schon sehr geschwächt war, tippte ich die Texte zunächst ohne seine Hilfe ab und las sie ihm erst später vor, zuletzt bloß die Stellen, die schwer zu entziffern waren. So konnte ich mehrere Stunden täglich schreiben und auch das Taccuino su Nuova York a distanza fertigstellen, eine Art Tagebuch in poetischer Prosa, das in der Übersetzung von Leopold Federmair 2007 erscheinen soll. Wenige Tage vor Gerhards Tod begann ich mit dem Korrekturlesen. Wir konnten noch alle Änderungen miteinander besprechen. Noch am Vormittag des 1. November, dem Tag, bevor er starb, diktierte er mir letzte Verbesserungen. Da war er schon sehr kurzatmig und konnte kaum sprechen.
Gerhard arbeitete also bis zuletzt. Dadurch stellte er der Krankheit etwas entgegen. Er wollte sich nicht als Patient definieren lassen. Er wollte den Augenblick leben – selbst unter diesen äußersten Umständen.
Hannelore Kofler, Mai 2006

Gerhard Kofler, geboren 1949 in Bozen, ltalien, lebte als freier Schriftsteller, Literaturkritiker und Generalsekretär der Grazer Autorinnen Autoren Versammlung in Wien. Er schrieb Lyrik und Essays in Italienisch und Deutsch sowie einen Gedichtband in spanischer Sprache und zwei Sammlungen im neapolitanischen Dialekt.
Bisher erschienen zwölf Gedichtbände und ein Band mit Kurzprosa. Mehrere Literaturpreise und Stipendien. Gerhard Koffer starb am 2. November 2005 in Wien.
Im Wiesen Verlag erschienen: Poesie von IIeer und Eine / Poesie di man, e terra (2000), Poesie von Meer, Erde und Himmel / Poesie di mare, telo e cielo (2003) und Notizbuch der Wasserrosen / Taccuino delle ninfee (2005).

 

Rezensionen & Reaktionen

Pressestimmen

Kofler ist hochmusikalisch: Er hört in die Melodie der Worte hinein. Drängt sich ein melancholischer Ton zu sehr auf, schickt er sofort ironische Brechungen nach. Er fürchtet den Bedeutungsverlust von Bildung. Im Italienischen bedeutet Tasso nicht nur den Namen eines nicht korrumpierbaren Dichters (Torquato T.), sondern auch Eibe und Dachs, »dort wo / den Tasso / sie nur mehr / eibe nennen / oder dachs / ohne blätter / ohne zettel / sing ich / ins leere«. Das tut er nicht.
Reinhold Reiterer, Kleine Zeitung

 

Denn ohne den Widerspruch kann man nicht leben – Gerhard Koflers Trilogie neu antik

 

Rezension von Michaela Schmitz (fixpoetry)

 

Südtirol liegt am Meer. Das zumindest meint man, wenn man die Gedichte Gerhard Koflers liest. Der Autor aus den südtiroler Bergen fühlt sich den „seelen vom meer“ verwandt. Seine geistige Wahlheimat liegt im Süden: in der Kultur der Antike.

 

„Neuer antiker Beginn“ ist der erste Teil seiner posthum erschienenen „Trilogie neu antik“ überschrieben. Das Motto über dem gleichnamigen Titelgedicht zitiert John Keats. Schönheit sei Wahrheit und Wahrheit Schönheit, verkündet Keats in seiner „Ode an eine griechische Urne“. Dies sei das einzige, das man auf Erden wissen könne und zugleich alles, was man zu wissen bräuchte. „Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt“, meint man das Echo Thomas Bernhards widersprechen zu hören. „vom schrecken / zerrissen“ wirst du es dennoch verteidigen müssen, ruft sich der Dichter in Koflers Antwort-Versen selbst Mut zu – mit aller gebotenen Ironie und dem notwendigen Ernst. Denn ohne den Widerspruch kann man nicht leben, weiß Kofler. Und ohne Utopie kann man nicht dichten, so die Überzeugung des Autors.

 

Meer und Gesang, Erinnerung und Poesie stehen in Koflers Versen für das antike Ideal. Sie bilden die poetische Gegenposition zu den alltäglich dominierenden Geschäften, Betrügereien, Kriegen und dem alles nihilierenden Vergessen. Sie sind die Basis seiner antiken Poetik. Denn „glücklich zu sein in der grausamen welt / war der versuch der antike / und wir antik und neu in rückkehr / sind mit bewegter stimme losgefahren“. Die „antike demut“ lässt immer wieder den Tag erstrahlen. Sie gibt dem Dichter jeden Tag neu den Mut, mit seinen Versen gegen die ernüchternde Realität anzuschreiben. Seine Bestätigung ist die „unermessliche / gewißheit / im augenblick / des gesangs“. Das lyrische Ich ist sich sicher: „Der Gesang ist da auch wenn er verborgen“. Gemeinsam mit dem Meer wird er uns, die Dichtung und die Erinnerung überdauern.

 

Poesie, auch das ist eine „antike neue Erfahrung“, ist immer auch politisch. Nach Koflers Verständnis hat Lyrik deshalb die Aufgabe, „von frieden / zu singen / ohne / schlagzeilen“. Folgerichtig überschreibt Kofler den zweiten Teil seiner „Trilogie neu antik“ mit „Friedensversuche und -verträge“. Die Verse richten sich aber nicht nur gegen „kriegstöne“ und „berichterstattergeschäft“, gegen Politik und Medien und ihren großen „verkauf von waffen und nachrichten“. Schon früh schließt das lyrische Ich einen ganz persönlichen Friedensvertrag mit seinem Vater. Die Poesie ist für Kofler der Versuch zu lieben, ohne Krieg zu führen – nicht gegen andere und nicht gegen sich selbst. Ihm geht es darum, seine Stimme zu erheben, „um das meer wieder zu bringen zum singen für die erde“.

 

Die Quelle seiner poetischen Arbeit ist die Liebe. Seiner „Lebensliebe“ widmet Kofler daher den dritten Teil der Trilogie. In klassisch anmutenden Vierzeilern besingt das lyrische Ich, wie wichtig die Begegnung mit seiner Frau nicht nur für die persönliche Entwicklung, sondern auch für seine Poesie war: „in deiner liebe widersteh ich / antikes licht das fließt auf dich zu / um zu verjüngen mir den blick die stimme / und ich sag zum vers: bewundere und ruhe“. Die langen harmonischen Verse und die zugleich sinnliche und abstrakte Bildwelt sind Liebeserklärung und poetisches Manifest zugleich.

 

Im Kontrast dazu stehen die überwiegend kurzen Zeilen der vorhergehenden Gedichte. Fast Wort für Wort fallen die ansonsten grammatikalisch vollständigen Sätze tropfenweise von Zeile zu Zeile. Schweigen schiebt sich zwischen die Verse; eine manchmal meditative, oft aber auch bedrohliche Stille. Ein ständiges horchendes Innehalten, innerhalb dessen jeder Begriff auf seine Gültigkeit überprüft wird. Den vielen Sollbruchstellen im Enjambement entspricht die bewusste Brüchigkeit der von Kofler selbst übertragenen deutschen Fassung. Wort für Wort, Zeile für Zeile folgt die Übersetzung dem italienischen Original und wirkt dadurch oft holprig. Ein gezielter poetischer Verfremdungseffekt des zweisprachig aufgewachsenen Autors und Übersetzers Gerhard Kofler, durch den jeder Vers zusätzlich auf die Probe gestellt wird.

 

Auf den ersten Blick schlicht erscheinende Inhalte bekommen so einen „doppelten Boden“. Zusammen mit dem Fehlen typisch poetischer Bilder und lyrischer Metaphern – vom lyrischen Ich als „formeln / der magie / in den löslichen / surrogaten“ ironisiert – entsteht der Effekt einer irritierenden poetischen Abstraktheit. Die Gedichte wirken manchmal wie zeitlose lakonische Aphorismen, andererseits oft wie erst noch zu entziffernde rätselhafte Zauberformeln. Koflers Gedichte entwickeln bei mehrfachem Lesen eine seltsame Eigendynamik: Immer, wenn sich eine eindeutige Lesart herauszukristallisieren scheint, wird sie beim erneuten Lesen wieder in Frage gestellt. Das macht Koflers Gedichte, den japanischen Haikus ähnlich, einfach und hermetisch zugleich. Nicht zufällig fordert das lyrische Ich in dem Gedicht „antike neue Erfahrung“: „den ungewissen / punkt / retten wir ihn“.