Roman

Aus dem Serbischen von Silvija Hinzmann.

ca. 200 Seiten, gebunden, Vor- und Nachsatz,

Lesebändchen, Prägedruck

EUR 21,00/sfr 37,90

Ivan Vetrucic, ein vom Wind des Abenteuers getriebener junger Mann von der Küste, ist fasziniert von den ersten bewegten Bildern. Kurz vor dem Großen Krieg desertiert er und landet am Tag der Krönung Peters I. in Belgrad. Er wird Gehilfe eines Fotografen, begegnet seiner ersten großen Liebe und gerät in den Kreis der „Schwarzen Hand“, die das Attentat auf den k. u. k. Thronfolger vorbereitet. Mit einem fahrenden Kinematografen tingelt er später von Jahrmarkt zu Jahrmarkt durch Osteuropa und landet schließlich als Filmvorführer in London, wo er den Krieg und die Stummfilmstars auf der Leinwand miterlebt. Vom Wind des Heimwehs getragen, kehrt er in den zwanziger Jahren auf den Balkan zurück, eröffnet in Belgrad das erste ständige Kino und taucht immer tiefer in die Scheinwelt der bewegten Bilder ein. Ein wunderbarer Roman erzählt lakonisch und unsentimental von den Anfängen des Kinos und der Liebe zu bewegten Bildern.

Aus dem Buch

Das Meer glitzert in der Nachmittagssonne, als der Junge an der Hand der Mutter das dunkle Zelt betritt. Der Duft des nahen Meeres weht herüber, doch er fühlt sich unsicher: etwas verändert sich. Der Mann, der die Eintrittskarten abreißt, ist rosa gekleidet und hat einen nach oben gezwirbelten Schnurrbart. Der Junge zuckt unangenehm berührt zusammen; als ob er in schon einmal irgendwo gesehen, als ob er jemand anderen erwartet hätte.

Radoslav Petkovic, geboren 1953 in Belgrad, veröffentlichte bisher mehrere Romane und erhielt etliche wichtige Preise und Auszeichnungen. Einige seiner Werke wurden ins Französische übersetzt. Aus dem Englischen übersetzt er Werke von G. K. Chesterton, J. R. R. Tolkien, D. Defoa und R. L. Stevenson. Seine Kurzgeschichten wurden in einigen Anthologien im In- und Ausland veröffentlicht. Lebt als freier Schriftsteller in Belgrad.

Silvija Hinzmann, geboren 1956 in Cakovec, Kroatien, lebt in Deutschland. Sie ist freie Autorin, Herausgeberin sowie Übersetzerin und Dolmetscherin für Kroatisch, Serbisch und Bosnisch. Mitglied im Syndikat, der Autorengruppe der deutschsprachigen Kriminalliteratur, und bei den Mörderischen Schwestern, dem Netzwerk deutschsprachiger Krimiautorinnen.

 

Rezensionen & Reaktionen

Pressestimmen

SÜDWESTRUNDFUNK, SWR2 Buchkritik 

Radoslav Petkovic: „Schatten im Wind“, Aus dem Serbischen übersetzt von Silvija Hinzmann.

Sendung: Donnerstag, 07. Mai 2009, 14:55 – 15:00 Uhr SWR2

Von Ursula Escherig

AUTORIN:

Man muss sich den serbischen Schriftsteller Radoslav Petkovic als einen Liebhaber der Geschichte der Fotografie und des Films vorstellen. Sein Roman „Schatten im Wind“ wird ganz aus der Perspektive des künstlerischen Sehens erzählt: des Sehens auf eine neue Welt, die aus der Dunkelheit heraus mit den Mitteln des Lichts erschaffen und auf Fotopapier gebannt wird. Die verschiedenen Kapitel des Buches folgen den Eckdaten der wichtigsten technischen Neuerungen: von den Anfängen der Fotografie über die Erfindung des Kinematographen bis hin zum Tonfilm der zwanziger Jahre. So kann Petkovic den Handlungsfaden seiner Geschichte mit anderen Textelementen ergänzen: etwa mit Reklamezetteln, Werbebroschüren, zeitgenössischen Zeitungsartikeln oder Filmkritiken – es entsteht eine überzeugende, stimmige, reizvolle Collage. Im Mittelpunkt des Romans steht ein Held, der der realen Welt seltsam entrückt ist: die Gesichter der Menschen interessieren ihn mehr, wenn sie auf Fotografien zu sehen sind und nicht auf der Straße, so heißt es an einer Stelle über Ivan Vetrucic

Geboren wurde er Ende des 19. Jahrhunderts in einem kleinen Städtchen an der Adria im Königreich Jugoslawien. Petkovic lässt seinen Protagonisten über eine Aufnahme von dessen Geburtsort aus dem Jahre 1895 lebendig werden. Er nimmt noch einmal den Blickwinkel des Fotografen ein, versucht sich vorzustellen, wie dieser damals gearbeitet haben könnte:

ZITATOR:

Vermutlich hatte er eine leichte Kamera, der Technik letzter Schrei, in die ein aufgerollter Film eingelegt werden musste und nicht Platten aus Metall oder Glas, die man nicht gerade leicht mit sich herumschleppen konnte. Unendlich stolz darüber, eine so vollendete Erfindung zu besitzen, fand er leicht die Stelle, an welcher der Blick auf die Stadt und das Schiff nicht von Weinreben verdeckt war, platzierte die Stützbeine auf dem mehr oder weniger ebenen Grund, befestigte die Kamera und drückte auf den Auslöserknopf.

AUTORIN:

Neun Jahre alt ist Ivan Vetrucic, als diese Fotografie von ihm vor dem Hintergrund seiner Heimatstadt entsteht – ein Kind recht wohlhabender Eltern, ein schlechter Schüler, der sich für keines der Fächer auch nur im Geringsten interessiert. Statt seine Hausarbeiten zu machen, schaut er sich lieber die Vitrine des örtlichen Fotographen an, freundet sich mit ihm an und entdeckt seine Leidenschaft für die Fotokunst.

Ivans Kindheit wird in dem Buch nur kurz gestreift, denn sie ist lediglich der Übergang zu einem neuen, selbstbestimmten Leben: als Ivan zu den Husaren einberufen wird, desertiert er mit Hilfe des Fotographen nach Belgrad. Dort trifft er im September 1904 ein, ausgerechnet an dem Tag, an dem Peter I. zum neuen König von Serbien gekrönt wird. Petkovic schildert anschaulich die Atmosphäre Belgrads um die Jahrhundertwende, jener Zeit, in der die Entwicklung zur Großstadt fast abgeschlossen war. Vor dem Hintergrund dieser Topographie entwickelt sich mehr und mehr Ivans Charakter: er macht erste sexuelle Erfahrungen, schließt neue Freundschaften, unter anderem im Umkreis der „Schwarzen Hand“, der geheimdienstähnlichen, nationalistisch gesinnten serbischen Offiziersvereinigung. Doch Ivan Vetrucic, der in Belgrad lange Jahre als Gehilfe des Fotographen Raspopovic arbeitet, will mehr als nur den ewigen Gleichlauf des Alltags:

ZITATOR:

Das Neue am Belgrader Leben war schnell dahingeschmolzen, und Vetrucic kam auf jene Ebene, wo es dem Menschen scheint, dass sich nichts – oder wenigstens nichts Bedeutendes – ändert und man ruhig und für immer auf geebneten Pfaden, denen man Ähnliches hinzufügt, lebt. Die täglichen Gänge in Raspopovics Geschäft bildeten die Grundlage des eintönigen Rhythmus, mit sonntäglichen Unterbrechungen wie einer Kadenz. Je mehr Zeit verging, desto klarer sah Vetrucic, wie gleichförmig und rhythmisch auch längere Abschnitte waren. Das Leben machten immer mehr die Kleinigkeiten aus.

AUTORIN:

So wird Vetrucic Belgrad verlassen und für ein Jahr mit einem fahrenden Kinematografen durch Osteuropa ziehen. Während des Ersten Weltkriegs arbeitet er in London als Filmvorführer, bis er in den zwanziger Jahren nach Belgrad zurückkehrt und dort das erste ständige Kino begründet. Die Kunstwelt der bewegten Bilder ist endgültig seine Zuflucht, seine Heimat jenseits der realen Menschen geworden.

 

Der 1953 in Belgrad geborene Autor Radoslav Petkovic scheut psychologisierende Innenansichten seines Helden, er schildert ihn lieber von außen – kühl und sachlich, wie bei einer Bildbeschreibung. So bleibt ein Rest von Geheimnis seines Handelns auf schöne Weise erhalten. „Schatten im Wind“, in Belgrad bereits 1999 erschienen, ist das erste ins Deutsche übersetzte Buch des Autors – und man wünscht sich, mehr seiner zahlreichen Romane zu lesen.