Erzählbrücken
ca. 200 Seiten, gebunden, Lesebändchen
EUR 21,00

Die Autorin wird von Geschichten gefunden und hält sie fest. Vorzugsweise docken die Texte im Weichbild der Bundeshauptstadt Wien an, irgendwo zwischen den realen Gemarkungen „Krumme Eiche“ und „Unteres Feld“. Dort gibt es die Parkbank, das Labor, die Fleischerei, die alten Archive und die Höhlungen des U-Bahn-Systems. Stadtrandvillen und Gemeindebauten, Regierungsgebäude und Beisln, vor allem aber namenlose Orte, sind jeweils Platzhalter für die Geschehnisse. Pospischils Hund, die Wortsammlerin, der Alltagsphilosoph Nechwatal und alle anderen handelnden Personen begegnen einem an jeder Ecke. Die (semi)fiktionalen bis (auto)biografischen Texte reichen von 1933 bis in die Zukunft. Erzählend wird eine Brücke gebaut vom Bekannten und Gewussten hin zum Plausiblen und Vorstellbaren. Am anderen Ende der Brücke gelangt die Leserin / der Leser mühelos zu den Trateldorchts oder macht sich in der Teleportationsstation auf die Reise zum Planeten Senzaconfini.

Als die Tür aufging an diesem unwirtlichen Dezembermorgen, wehte ein eiskalter Hauch von der Tivolibrücke herein und unwillkürlich zuckten alle zusammen. Der Eintretende war kein Stammgast. Er trug etwas wie einen langen schwarzen Umhang mit spitzer Kapuze und in der Hand ein Instrument (man vermutete: eine elektrische Sense). Nachdem er die Kapuze abgestreift hatte, wunderte man sich – oder eigentlich doch nicht – über seine ungesunde Gesichtsfarbe. Er ging zielstrebig auf Schatzl zu, der interessiert und angstfrei aufsah, während sich alle anderen hinter ihre Gläser duckten.
„Es warat an der Zeit“, sagte der Unbekannte.
Das ist der wienerische Konjunktiv, denn er sprach wienerisch.

Maria Lehner schreibt und lebt in Wien; geb. 1954 in Graz, verheiratet. Sie war schon als Kind von der Kraft des Narrativs und der Wirkmächtigkeit der Fantasie überzeugt, agierte als Pädagogin zuhörend, erzählend, ermutigend und wurde im Studium (Germanistik) mit Theorie des Schreibens und Lesens unterfüttert. Im beruflichen Alltag war sie strenger Sprachnorm verpflichtet und mit Newspeak konfrontiert. Die unter ihrem bürgerlichen Namen entstehenden Essays (z. B. beim Buchverlag Der Leiermann) und die Mitherausgeberschaft bzw. Autorenschaft einer Reihe von fachwissenschaftlichen Bänden in der Reihe wieser∙wissenschaft stellen das nötige Gegengewicht zum Fabulieren dar. Erfahrungen als Lektorin und Jurorin ergänzen und bereichern ihre literarische Tätigkeit. Literarische Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften, Verlagen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz sowie online – von Krimi bis Lyrik (auch Sonderformen wie Haikus) über Science-Fiction bis hin zu Kurzgeschichten.