Roman
ca. 200 Seiten, gebunden, Lesebändchen
EUR 21,00 / sfr 36,50
ISBN 978-3-85129-866-6

In vier Teilen eines Romans oder eigentlich in vier ineinanderfließenden Romanen geht es um das Geschlecht, um die Suche nach dem Geschlecht … in Lebenssituationen mehrerer durch Freundschaften oder Intimbeziehungen verbundener Personen … um Sex also oder gar um Liebe. Und da darf man natürlich fragen: Warum soll man sich das von einem Autor sagen lassen, dessen Alter der oben abgedruckten Kurzbiografie zu entnehmen ist? Weil man am Ende eines langen Weges mehr sieht als an seinem Anfang und mit Gewissheit klarer als in der von Wirbelstürmen heimgesuchten Mitte! – Von Inzest handelt der erste Teil, von »Dreiecken« der zweite, der dritte von Parallelwelten, in denen Ehepartner ihre eigenen Wege gehen. Und der vierte Teil erklärt das Leben am Sinnbild der sogenannten Möbius-Schleife: Das ist ein um die eigene Achse gedrehtes Band, dessen Anfang und Ende zusammengeführt wird, so dass man unversehens von der Vorder- auf die Rückseite gelangt … und alles, was man gesehen, getan, erlebt hat, nochmals erlebt, nur eben jetzt von der anderen Seite.

Ein Zufall ist das nicht! spann er den Gedanken weiter: ein auf die Spitze gestelltes Dreieck ist ein Symbol … ein Symbol für die weibliche Scham. Und das umgekehrte, auf die eine Seite gestellte Dreieck … ein Symbol für den Phallus! Und die beiden Dreiecke übereinander gelegt … ja, da war es, das heilige Zeichen schon in der Bibel, schon bei den alten Indern, der bewusste sechszackige Stern: das Zeichen der Übereinanderliegenden … das Zeichen der Zeugung … das Zeichen der Schöpfung! – … das Zeichen Gottes? grübelte er weiter. Ja glaubst du denn wirklich, du bist ihm näher, wenn du mehrere Frauen liebst? Gewiss, jede Liebe ist ein Dialog: bringt ein anderer die Stichworte, wird man anders antworten, und so wächst aus der neuen Rolle eine neue Welt. Aber ohne dass du es merkst, nimmt deine neue Welt die Farbe deiner alten an, deine neue Rolle produziert dieselben Sätze wie die alte, deine Geliebte nimmt die Züge deiner Frau an. Auch der Bigamist träumt zuletzt immer denselben Traum und erwacht im selben Bett.

Ernst Brauner, geb. 1928 in Wien. Beruflich in der Medienbranche als Chefredakteur und Verlagsleiter tätig. Veröffentlichungen: Lyrik (»Frauen«), Theater (»Oratorium für Wölfe«, »Rosenbaum, König der Juden«), Fernsehproduktionen (»Das Kreuz«, »Der Kardinal«), Romane (»Die Schalen des Zorns«, »Der Bund«, zuletzt bei Wieser: »Struldbrugs – eine Chronik aus den ersten Jahrzehnten des dritten Jahrtausends« und »Die wundersame Päpstin – ein Schelmenroman«)

Rezensionen & Reaktionen

Pressestimmen

Phallisches Philosopieren – Jenseits von Sodom: ein roman über Sex und Sinn – von Anne-Catherine Simon

Spektrum, Samstag, 24. Juli 2010

Dieses Buch ist voller Männer in Liebesnöten. Da ist Heinz, der sich in die Freundin seiner Frau verliebt. Da ist Ludwig, der heimlich Frauen liebt, die (nocht) älter sind als er, und mit einer von diesen ein Kind hat. Da ist Kronhapt, der seine 17-jährige Tochter vor lauter (inzestuös angehauchter) Liebe zum seelischen Krüppel macht. Und da sit Lambert, dessen Frau sich zu alt für Sex glaubt und einen Selbstmord versucht.

Die Beziehungsgeschichten einiger miteinander bekannter Mittelschichtpaare verschränkt der 1928 geborene Wiener Ernst Brauner kunstvoll in seinem Roman Jenseits von Sodom. Brauner hat eine erfolgreiche Medienkarriere hinter sich (unter anderem als Chefredakteur des Stern und Verlagsleiter von Gruner+Jahr) und schon vor Jenseits von Sodom Romane und Theaterstücke veröffentlicht. Im Mittelpunkt seines neuen Buches stehen der verheiratete Heinz und die geschiedene Anna (plus Heinzens Ehefrau Sylvia): eine banale Dreiecksgeschichte im Grunde, aber mit viel Einfühlung in die Figuren, auch die weibliche, erzählt.

Jenseits von Sodom ist aber auch ein – machmal etwas zu penetrant – philosophierender Roman, in dem alles eine höhere Bedeutung erhält. Und so kehren Leitmotive wie den Sinn suchen im Geschlecht, der viesiegelte Quell oder der Körper ist weiser immer wieder. Sogar die Dreiecksgeschichte wird symbolisch aufgeladen: „Ein auf die Spitze gestelltes Dreiekc ist ein Symbol … ein Symbol für die weibliche Scham. Und das umgekehrte, auf die eine Seite gestellte Dreieck … ein Symbol für den Phallus! Und die beiden Dreiecke übereinander gelegt .. ja, da war es, das heilige Zeichen, schln in der Bibel …“

Sex wird in Jenseits von Sodom zur Seinsfrage, mit dem Gang zu den Müttern von Goethes Faust im Hintergund. Denn die Männer fühlen sich zum Mütterlichen oder sogar zur eigenen Mutter sexuell hingezogen. Vor allem aber scheinen Doderers Strudlhofstiege und Musils Mann ohne Eigenschaften Pate gestanden zu sein. Aber bei Brauner treibt sich eine selbstherrliche Erzählinstanz (ein nicht genau definiertes „Wir“) zwischen einer beachtlichen Anzahl von Figuren umher. Brauner nennt Heinz „einen Mann ohne Eigenleben“, an Musils Roman erinnert außerdem das Inzestthema und überhaupt der gelehrte Habitus.

Aber auch die Psychologie weist in vergangene Zeiten zurück. Frauen sind in diesem Denken „Engel“, „Huren“, wilde Stuten“ oder „Hüterinner der Flamme“. Sie arbeiten in der Regel höchstens spaßhalber, warten nur auf den Trauschein und finden, dass es sich für eine Mutter nicht geziemt, nackt vor ihrem Mann oder Geliebten zu tanzen.

Er habe sich nie als „Sexprotz, Rammelfritz, Siultanpimmel“ gefühlt, reflektiert Heinz über sein Leben mit und zwischen zwei Frauen. „Nein, es waren ganzn einfach zwei, die da sozusagen am Werk waren. Dieser verbrauchte nichts von der Kraft jenes, so wenig wie der einem etwas genommen war durch die Existenz der anderen.“ Seit Jahrhunderten sagen verheiratete Männer so etwas zu ihren Geliebten. In Jenseits von Sodom kommt das aber ganz unironisch daher – als Beweis für „Gottes herrliche Wirklichkeit“.

Alles in allem ein abmitionierter, raffiniert gebauter Roman – und eine gar nicht zeitgemäße Geisteswelt.