Roman Tschechisch/Deutsch
Aus dem Tschechischen von Christa Rothmeier
EUR 14,80 / sfr 25,80

In Cooperation mit der Bank Austria Creditanstalt.

Zum Buch
Anna Zonovás Roman Zur Strafe und zur Belohnung spielt im nordmährischen Sudetengebiet. Das veristisch und psychologisch einfühlsam erzählte Kaleidoskop von Einzelschicksalen vergegenwärtigt die Problematik dieser (nach der Vertreibung der Deutschen neu besiedelten) Region von den stalinistischen fünfziger Jahren bis in die Gegenwart.

Anna Zonová, geboren 1962 in Nizny Komárnik (Slowakei). Sie arbeitet als Prosaschriftstellerin und Publizistin. Anna Zonová profilierte sich als Kritikerin für bildende Kunst und veröffentlichte erst mit knapp vierzig Jahren ihren ersten Prosaband, eine Sammlung von Erzählungen mit dem Titel Cervené boticky (2001, Verlag Petrov) und darauf Roman Za trest a za odmenu (2004, Verlag Torst).

Rezensionen & Reaktionen

Pressestimmen




LITERATURKRITIK.de — Rezensionsforum für Literatur und Kulturwissenschaften —, Ausgabe 3/März, Marburg an der Lahn 2009, S. 177-179, 11. Jg.

Merkwürdige Unbehaustheit

Anna Zonová entfaltet in ihrem Roman „Zur Strafe und zur Belohnung“ ein ungewöhnliches Mäander von Schicksalen und Begebenheiten im Herzen Europas Von Volker Strebel

„Wir haben zweieinhalb Millionen Deutsche ausgesiedelt. Feinde. Sie reden von Vertreibung. Und auch von Unrecht. Sie wissen nicht, daß ständig jemand jemanden anderen aussiedeln und vertreiben wird“ — mit diesen dürren Worten, die im Rhythmus von Hammerschlägen vorgetragen sind, wird ein ungewöhnlicher Roman eingeleitet.

Das erste Kapitel trägt lediglich den Namen „Lise“ als Überschrift — und schnell stellt sich heraus, dass die fortlaufende Kapitelaufteilung lediglich in Form von angeführten Namen vollzogen wird, deren jeweiliger Monolog zum Leser spricht. Allmählich gewinnen die wiederkehrenden Namen an Kontur und der Leser vermag sich in das jeweils vorgetragene Schicksal hineinzudenken.

„Lise“ kommt immer wieder zu Wort, sie hadert mit ihrem Schicksal. Mit ihrem Mann Rene hatte sie einst „für eine Idee gekämpft“, beide gehörten der kommunistischen Nomenklatura an. Doch dann fiel ihr Mann einer für die kommunistischen Regimes kennzeichnenden „Säuberung“ zum Opfer, war angeklagt und hingerichtet worden. Die Rehabilitierung erfolgte posthum Jahre später.

Jetzt wohnt Lise zur Strafe nicht mehr in der früheren Wohnung in Prag, sondern unter einfachsten Umständen in einem Landstrich, dessen frühere Bewohner von ihrer ehemaligen Partei unter ihrer vollsten Billigung vertrieben worden waren. Sie fühlt sich nicht wohl „inmitten von dreihundert Landmenschen, Primitiven, die in einer Art reden, die nicht einmal annähernd etwas mit einer kultivierten Sprache gemein hat, hasserfüllten, stinkenden und komisch gekleideten Menschen, mit Tüchern auf dem Kopf, Schürzen, Gummistiefeln. Wir haben sie als Belohnung hierher geschickt. Sie haben Land und Wälder bekommen. Und so sehen sie aus und sind undankbar“.

Lise hängt an ihrem Sohn Rudolf, der in der neuen Zeit, also nach der „samtenen Revolution“ von 1989 Karriere gemacht und eine hohe Funktion in der tschechischen Botschaft in Moskau hat. Rudolf ist mit Tereza verheiratet, sehr zum Missfallen seiner Mutter. Lise verachtet ihre Schwiegertochter Tereza nicht erst seit der Hochzeitsfeier: „Es genügt, sie anzuschauen — Handschuhe fast bis zum halben Oberarm, und sicher hat sie nur ein winziges Höschen an. Sofern sie überhaupt eins trägt“.

Lises Abneigung bezieht sich auf die Herkunft ihrer Schwiegertöchter. Tereza stammt aus kleinen Verhältnissen. Ihre Eltern waren nach dem Krieg von Ruthenien in das Sudetengebiet umgesiedelt worden. Terezas Mutter war früher Bedienstete bei Lise und Terezas Vater, „ein Kerl aus der Fabrik“, war in kommunistischer Zeit eingesperrt worden, weil er ein paar Schnüre gestohlen hatte. Die verschiedenen Schicksale lassen erkennen, dass in die ehemals von Deutschen besiedelten Dörfer Bestrafte eingezogen sind, aber auch Verlierer, die sich den Zuzug in dieses Land anders vorgestellt hatten — eben ein Leben „Zur Strafe und zur Belohnung“!

Das Figurentableau lässt ein halbes Jahrhundert Revue passieren und reicht bis in die neueste Zeit. Die Verschränkung der Erlebnisse bilden Verwicklungen des 20. Jahrhunderts eindrucksvoll mit prallen Szenen eines authentischen Lebens ab, ohne dass ein „Vertriebenenroman“ im engeren Sinne vorliegt. Der Text endet im Eingeständnis einer Gedächtnislosigkeit und spiegelt somit den Zustand merkwürdiger Unbehaustheit wieder.

Im Mai 2004 fand in Wien ein internationales österreichisch-tschechisches Symposiums statt, das dem Thema „Vertreibung / Aussiedlung / Abschub in der tschechischen Literatur“ gewidmet war. Die Ergebnisse liegen in einem zweisprachigen Band vor: Gertraude Zand / Jiri Holy (Hg.) „Vertreibung, Aussiedlung, Transfer im Kontext der tschechischen Literatur“. Die Literaturwissenschaftlerin Ute Raßloff hatte damals eine Einschätzung abgegeben, die auch den vorliegenden Roman charakterisieren könnte: „Die konsequente Orientierung an der Tradition des modernen oder spätmodernen Romans im Sinne von Kafka, Joyce und Borges ist nicht nur eine klare Absage an die von teleologischen Geschichtsbildern unterlegten linearen Erzählmodelle, mögen sie nun im Dienste politischer oder auch nationaler Ideologien stehen“.

Das Labyrinth und die Mehrperspektivität kommen der Wirklichkeit näher als einseitige Abbildungen. Ein Anspruch, den der Roman „Zur Strafe und zur Belohnung“ der 1962 geborenen Anna Zonová eindrucksvoll erfüllt. Hervorzuheben ist die bewährte Übersetzerleistung von Christa Rothmeier. Österreichische Begriffe wie Tuchent, Jause oder Fisolen verleihen dem Text eine atmosphärisch angebrachte nostalgische Färbung. Der ansehnliche Umfang dieser Ausgabe liegt nicht zuletzt im Mut des Wieser Verlages begründet, den kompletten Roman zweisprachig abzudrucken. Eine Unternehmung, die angesichts eines zusammenwachsenden Europas die grenzübergreifende Sprachlosigkeit mit überwinden hilft.

Anna Zonová: Zur Strafe und zur Belohnung.

Übersetzt aus dem Teschechischen von Christa Rothmeier. Wieser Verlag, Klagenfurt 2008.

2007 Seiten, 14,80 EUR.

ISBN 3-85129-664-8

http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=12758 – Ausgabe 3, März 2009 2009 -11. Jahrgang

 

 

 

Im Jahr 2006 haben Bank Austria, Kulturkontakt Austria und der Wieser Verlag den Bank Austria Literaris ins Leben gerufen. Ziel der Auszeichnung, die alle zwei Jahre vergeben wird, ist es, Werken von Autorinnen und Autoren aus dem Osten und Südosten Europas im deutschsprachigen Raum Gehör zu verschaffen und so auf die spannende, literarische Vielstimmigkeit dieser Region hinzuweisen.

Diesem Ziel wird Rechnung getragen, indem die drei Siegertitel ins Deutsche übersetzt und im Wieser Verlag publiziert werden.

PRAGER ZEITUNG — Das Wochenjournal aus der Mitte Europas —, Nr. 10 vom 05. März 2009, Prag, S. 14, 18. Jahrgang

 

Von Volker Strebel

„Wir haben zweieinhalb Millionen Deutsche ausgesiedelt. Feinde. Sie reden von Vertreibung. Und auch von Un­recht. Sie wissen nicht, dass ständig jemand jemanden anderen aussiedeln und vertreiben wird“ — mit diesen dürren Worten, die im Rhythmus von Hammerschlägen vorgetragen sind, wird ein ungewöhnlicher Roman eingeleitet. Das erste Kapitel trägt lediglich den Namen „Lise“ als Überschrift und schnell stellt sich heraus, dass die fortlaufende Kapitelaufteilung lediglich in Form von angeführten Namen vollzogen wird, deren jeweiliger Monolog zum Leser spricht. Allmählich gewinnen die wiederkehrenden Namen an Kontur und der Leser vermag sich in das jeweils vorgetragene Schicksal hineinzudenken.‘

„Lise“ kommt immer wieder zu Wort, sie hadert mit ihrem Schicksal. Mit ihrem Mann Rene hatte sie einst „für eine Idee gekämpft“, beide gehörten der kommunistischen Nomenklatura an. Doch dann fiel ihr Mann einer für die kommunistischen -Regimes kenn­zeichnenden „Säuberung“ zum Opfer, war angeklagt und hingerichtet worden. Die Rehabilitierung erfolgte posthum Jahre später. Jetzt wohnt Lise zur Strafe nicht mehr in der früheren Wohnung in Prag, sondern unter einfachsten Umständen in einem Landstrich, dessen frühere Bewohner von ihrer ehemaligen Partei unter ihrer vollsten Billigung vertrieben worden. Sie fühlt sich nicht wohl „inmitten von dreihundert Landmenschen, .Primitiven, die in einer Art reden, die nicht einmal annähernd et­was mit einer kultivierten Sprache ge­mein hat, hasserfüllten, stinkenden und komisch gekleideten Menschen, mit Tüchern auf dem Kopf, Schürzen, Gummistiefeln. Wir haben sie als Be­lohnung hierher geschickt. Sie haben Land und Wälder bekommen. Und so sehen sie aus und sind undankbar“. Lise hängt an ihrem Sohn Rudolf, der in der neuen Zeit, also nach der „samtenen Revolution“ von 1989 Karriere gemacht hat und eine hohe Funktion in der  tschechischen Botschaft in Moskau hat. Rudolf ist mit Tereza verheiratet, sehr zum Missfallen seiner Mutter Lise. Lise verachtet ihre Schwiegertochter Tereza nicht erst seit der Hochzeitsfeier: „Es genügt, sie anzuschauen — Handschuhe fast bis zum halben Oberarm, Und sicher hat sie nur ein winziges Höschen an. Sofern sie überhaupt eins trägt.“

Lises Abneigung bezieht sich auf die Herkunft ihrer Schwiegertochter. Tereza stammt aus kleinen Verhältnissen. Ihre Eltern waren nach dem Krieg von Ruthenien in das Sudetengebiet umgesiedelt worden. Terezas Mutter war früher Bedienstete bei Lise Und Terezas Vater, „ein Kerl aus der Fabrik“, war in kommunistischer Zeit eingesperrt worden, weil er ein paar Schnüre gestohlen hatte.

 

Keine einseitigen Abbildungen

Die verschiedenen Schicksale lassen erkennen, dass in die ehemals von Deutschen besiedelten Dörfer Bestrafte“ eingezogen sind, aber auch Verlierer, die sich den Zuzug in dieses Land anders vorgestellt hatten — eben ein Leben „Zur Strafe und zur Belohnung“! Das Figurentableau gewährt Einblick in ein halbes Jahrhundert und reicht bis in die neueste Zeit. Die Verschränkung der Erlebnisse bilden Verwicklungen des 20. Jahrhunderts eindrucksvoll mit prallen Szenen eines authentischen Lebens ab, ohne dass ein „Vertriebenenroman“ im engeren Sinne vorliegt. Der Roman endet im Eingeständnis einer Gedächtnislosigkeit und spiegelt somit den Zustand merkwürdiger Unbehaustheit wieder.

Im Mai 2004 fand in Wien ein internationales österreichisch-tschechisches Symposiums statt, das dem Thema „Vertreibung / Aussiedlung / Abschub in der tschechischen Literatur“. gewidmet war. Die Ergebnisse liegen in einem zweisprachigen Band vor: Gertraude Zand/Jiff Hol (Hg.) „Vertreibung, Aussiedlung, Transfer im Kontext der tsche­chischen Literatur“. Die Literaturwissenschaftlerin Ute Raßloff hatte damals eine Einschätzung abgegeben, die auch den vorliegenden Roman charakterisieren könnte: „Die konsequente Orientie­rung an der Tradition des modernen oder spätmodernen Romans im Sinne von Kafka, Joyce und Borges ist nicht nur eine klare Absage an die von teleologischen Geschichtsbildern unterlegten linearen Erzählmodelle, mögen sie nun im Dienste politischer oder auch nationaler Ideologien stehen.“

Das Labyrinth und die Mehrperspektivität kommen der Wirklichkeit näher, als einseitige Abbildungen. Ein Anspruch, den der Roman „Zur Strafe und zur Belohnung“ der 1962 geborenen Anna Zonová eindrucksvoll erfüllt. Hervorzuheben ist die bewährte Über­setzerleistung von Christa Rothmeier. Österreichische Begriffe wie Tuchent, Jause oder Fisolen verleihen dem Text eine atmosphärisch angebrachte nostal­gische Färbung.

Der ansehnliche Umfang dieser Aus­gabe liegt nicht zuletzt im Mut des Wieser-Verlages begründet, den kompletten Roman zweisprachig abzudrucken. Eine Unternehmung, die angesichts ei­nes zusammenwachsenden Europas die grenzübergreifende ‚Sprachlosigkeit zu überwinden hilft.

Anna Zonová

Zur Strafe und zur Belohnung. Aus dem Tschechischen von Christa Rothmeier, Wieser Verlag, Klagenfurt 2008, 845 Seiten,

ISBN 13:  978-3-85129-664-8, 14,80 Euro

 

Die Künstlergilde – Ausgabe 1/2010, S. 49-50