Roman
284 Seiten, gebunden
Schutzumschlag und Lesebändchen

EUR 18,80/sfr 33,20

ISBN-10 3-85129-635-4
EAN 9783851296358 

Zum Autor

Wolfgang Koch, geboren 1959 in Klagenfurt/Celovec, lebt seit 1987 als Journalist und Publizist in Wien. Er debütierte in den achtziger Jahren literarisch mit drei Erzählungen, schreibt Drehbücher, Bühnenwerke und arbeitet seit 1999 an einer fünfbändigen Kriegskulturgeschichte der Neuzeit.

2005 erschien im Wieser Verlag sein Essayband Geschichte der Gewalt. Das Unglück des 20. Jahrhunderts.

Zum Buch

Gab es ein gewöhnliches Leben im 20. Jahrhundert? Dieser Roman sagt: Nein – noch in das stillste Dasein bließ der Sturm des Schicksals.

János kommt als Spross gutbürgerlicher ungarischer Juden zur Welt, wächst in behüteten Verhältnissen in Budapest auf. Während des Weltkriegs sammelt er mit einem Pferdekarren Kleider für die Brüder in den ukrainischen Schützengräben. Als 1944 die Pfeilkreuzler mit Hilfe der Deutschen die Macht ergreifen und die größte Vernichtungsaktion an europäischen Juden in Szene setzen, heiratet János die Liebe seines Lebens – und landet mit einem Magendurchbruch im Ghettospital.

Nach der Befreiung wird er überzeugter Kommunist. Bis die Diktatur1956 das Fass zum Überlaufen bringt. János demonstriert mit den wütenden Studenten und flieht, als die sowjetischen Panzer in die Stadt rollen, wie 180.000 anderen ins Ausland.

Ein Roman über eine Epoche, in der die Welt mit Flüchtlingen anders umging als heute.

Aus dem Buch

… Hee, kannst anfangen!

Hrr, hmm – … Also, Sie müssen wissen, ich duze mich meistens; höchstens wenn ich irgendeinen Blödsinn mach, fange ich an mich zu siezen.

Also, du! – Du bist Johann, im Ungarischen als János, im Jiddischen als Jitzhock Ben Jisroel geboren; in Budapest, drei Jahre nachdem die Menschen das erste große Bad im Blut genommen haben.

Du bist auf die Welt gekommen, hast dich mit der frischen, kalten Luft abgefunden, mit den rauen Windeln, der Unruhe, dem Lärm, mit der Arbeit des Saugens. Die Brust war eine helle Wolke, ein Geschmack, ein Duft, Warmes, Gutes. Du hast sie losgelassen und geschaut, hast dieses eigenartige Etwas erforscht, das immer über der Brust erschien, aus dem Laute flössen und ein warmer Atemstrom wehte. Du wusstest noch nicht, dass diese Brust, das Gesicht, die Hände eine Einheit bilden – Anyu.

»Du entdecktest, dass es dich gibt, János, stimmt’s? Und du entdecktest zugleich etwas, das nicht zu dir gehörte.«

Genau! Ich griff nach ihrer Nase, berührte das seltsame Auge, das mal funkelte und dann wieder im Schatten dunkler Wimpern lag. Es gab sicher jede Menge Neugeborener, die weniger weinen als ich, und es gab solche, denen vom Schreien die Adern auf der Stirn schwollen, dass das Gesichtchen knallrot wurde, die Lippen blau, der zahnlose Kiefer zitterte, der Bauch blähte sich auf, die Beinchen strampelten in der Luft.

Ich aber, ich lag einfach da und sprach mein »abb, abba, ada«, horchte und prüfte das Gefühl, das durch die Bewegung der Lippen, der Zunge, des Kehlkopfs ging.

Wo war ich?