ca. 160 Seiten, gebunden, Lesebändchen

ca.  EUR 14,95 / sfr 21,00

Über das Buch:

Wer war Mutter Teresa? Woher kam sie? Wer waren ihre Eltern? War sie Albanerin, Serbin, Makedonierin, Bulgarin oder Rumänin? Wie sah die »Caršija« aus, das Händler- und Handwerkerviertel, in dem Vater Nikola erfolgreich wirkte? Welchen Einfluss auf seine Tochter hatten die kleine Kirche und die grosse Schule, in denen sie den Grossteil ihrer Kindheit und Jugend verbrachte? Welche Möglichkeiten für Kultur, Unterhaltung, Erholung bot die Stadt? Auf welchen Spazierwegen am Fluss Vardar sind Mutter Teresa und ihre Freundinnen gewandelt? Hatte sie mit ihren musikalischen und künstlerischen Talenten auch eine andere »Karriere« einschlagen können? War es Gefühlskälte, wenn sie in den Folgejahrzehnten mit Bruder Lazar, dem schlechten Schüler und eifrigen Kollaborateur mit Mussolinis Faschisten, nur selten belanglose Briefe in englischer Sprache wechselte? Skopje hat sie und ihr gesamtes Wirken geprägt. Ihr Geburtsort war eine multiethnische Stadt, ihre Jugend verlief in einer Umgebung, die auf dem Weg von osmanischer Rückständigkeit zu jugoslawischer Urbanitat war. Mutter Teresa minus Skopje ist gleich null! Gekommen sind Zeit und Ruhe, ein paar Fragen zur Biografie der Friedensnobelpreisträgerin von 1979 zu stellen und sie so akribisch wie moglich, so strittig wie nötig zu beantworten. Dass diese Antworten gegen einen Wust von nationalistischen Falsifikationen, hagiografischen Verklärungen und gedankenlosen Flüchtigkeiten ausfallen, konnte und wollte der Autor nicht vermeiden. Fragen über Fragen, die sich zu Mutter Teresa förmlich aufdrängen, auch wenn sie bislang noch niemand stellte oder gar beantwortete. Das Buch von Wolf Oschlies wagt einen Neuansatz.

Mutter Teresa, 1910 als Gonxha Bojaxhiu in der makedonischen Hauptstadt Skopje geboren. Ihre Mutter war keine »Kosovarin«, ihr Vater kein »albanischer Patriot«, sondern beide Eltern waren Makedo-Rumänen (Zinzaren), die ihre drei Kinder zu karitativen Christen, loyalen Staatsbürgern, kultivierten Städtern und polyglotten Nachbarn ihrer multiethnischen Umgebung erzogen.

Wolf Oschlies, geboren 1941 in Königsberg (Ostpreusen), aufgewachsen in der DDR, 1968 bis 2002 in Forschungsinstituten der Bundesregierung tätig, ab 1977 nebenberuflich auch als Hochschullehrer an der Justus-Liebig- Universität in Giesen, seit seiner Pensionierung in Kerpen (Rheinland) als freier Osteuropa-Publizist lebend und arbeitend.

Rezensionen & Reaktionen

Pressestimmen

Dr. Klaus Schrameyer, 10. 9. 2010

1. Oschlies hat die Gabe, immer kenntnisreich, fesselnd und farbig zu schreiben. So auch hier. Man ist versucht, das Buch ohne Unterbrechung von Anfang bis Ende zu lesen. Man nimmt daher gern in Kauf, daß der logische Faden nicht immer geradlinig gesponnen wird. Und man bedauert am Ende, daß das Buch nach 194 Seiten endet. Denn Oschlies hält sich strikt an den Untertitel des Buches  „Die Jugend in Skopje“. Er endet mit Theresas Weggang aus Skopje 1928, nur um mit der Rede des makedonischen Premiers Gruevski aus Anlaß der Grundsteinlegung eines Gedächtnishauses am 9.5.2008 in Skopje abzuschließen.  Ihn interessiert nicht die Ruhmesgeschichte von Mutter Theresa. Alles, was sie nach ihrem Eintritt in den irischen Loretto-Orden und seit 1929 in Indien (S. 191) und in der Welt vollbringt, wird nur en passant erwähnt.

Daneben gibt das Thema Oschlies Gelegenheit, sein altes Steckenpferd zu reiten, seine Vorbehalte gegenüber den Albanern (s. u.a. S. 44). Sie stützt er u.a. auch auf Ausführungen des verstorbenen Peter Schubert (S. 32 ff.). Der albanische Nationalismus sei eine Überkompensation kollektiver Minderwertigkeitskomplexe“ (S. 35).

 

2. Die Hauptthese des Buches ist, daß Gonxha Bojaxhiu, geboren  am 26. Aug. 1910 in Skopje von vlachischen Eltern, keine Albanerin war, sondern ethnisch eine Vlachin. Oschlies bezeichnet sie als Mazedo-Rumänin (Aromunin oder Vlachin), also einer Angehörigen der Diaspora-Rumänen. Ihre Familie war eine „katholische, mittelständische, wohlhabende Familie aus dem makedonischen Skopje“ (S. 31, 96), die dort seit der 2. Hälfte des 18. Jh. nachweisbar ist (S. 96). Der Vater war gebildet, polyglott und politisch einflußreich (S. 106 ff.). Wichtig ist auch, daß weder MT noch ihre Familie albanisch gesprochen haben, sondern aromunisch und serbokroatisch.

 

Während ihre ethnische Abstammung damit klar ist, ist ihre Staatsangehörigkeit ist zeitweise unklar, denn über sie gibt es keine Personalpapiere aus dieser Zeit. Da Vardar-Makedonien bis 1912 osmanisch war, war sie also zunächst Türkin, dann seit 1912 Serbin. Ob sie nach ihrem Weggang 1928 ihre StA noch geändert hat, ist unbekannt: 1918 entstand das Königreich der SHS, 1929 Jugoslawien,  1944 der Bundesstaat Makedonien im Rahmen der Jugoslawischen Föderation und  1991 die Republik Makedonien. Auf jeden Fall hat sie 1949  die indische StA angenommen. Gestorben ist sie am 5. Sept. 1997 in Kalkutta.

 

3. Die These von der albanischen Herkunft von Mother Theresa ist bis heute weit verbreitet, weil Tirana und Pristhina aus nationalistischen Gründen sie für sich in Anspruch nehmen. Sie wollen wohl vor allem von ihrem Ruf profitieren und politisches Kapital daraus schlagen und – wie Oschlies schreibt- sie „vor chauvinistische, nationalistische, fundamentalistische Karren spannen“ (S. 12).

 

Dabei wurde sie unter Hodža, der 1967 Albanien zu dem „ersten atheistischen Staat der Welt“ ausgerufen hatte,  „verteufelt und diskriminiert“ (S. 21) und durfte Albanien nicht betreten (S. 23), und zwar auf Grund eines Sondergesetzes von 1986, das weiterhin in Kraft ist (S. 30 f.).

 

Die Beanspruchung auch von MT durch Tirana und Pristhina, ja auch durch die makedonischen Albaner als Albanerin dient der Stützung einer absurden nationalistischen Geschichtsversion, wonach sechs Päpste ebenso wie Homer, Alexander, Napoleon, Fidel Castro, Kemal Atatürk u.a. als Albaner geboren worden seien (S. 24).

 

Ferner macht Oschlies auch „die wenig gefestigte Ethnizität der Mazedo-Rumänen“ dafür verantwortlich, daß derartige Behauptungen überhaupt aufkommen konnten (S. 153. Oschlies räumt auch ein, daß es Anfang des 20 Jh. „fast unmöglich war, die Volksgruppen des südlichen Balkan klar zu definieren und zu differenzieren“ (S. 44).

 

Der einzige Anknüpfungspunkt (s. auch S. 41 ff.) ist die Tatsache, daß ihre Mutter und Schwester seit den 30iger Jahren  in Albanien gelebt haben. MTs Bruder Lazar könnte daran interessiert gewesen sein, seine Familie als Albaner auszugeben, weil er seit 1925 in albanischen Militärdienst getreten war (S. 178 ff.) und seine Mutter Drona und Schwester Aga 1932 dorthin gelockt hatte. (S. 179). Sie dienten dem albanischen Diktator angeblich als eine Art  „Geiseln“  (um MTs Wohlverhalten gegenüber Albanien zu erkaufen, S. 37).

 

Den 100. Geburtstag Theresas feierten nicht nur die Akademie der Wissenschaften in Skopje (Utrinski Vesnik vom 6.9.10), sondern auch das Parlament des Kosovo (Radio Free Europe vom 10.9.10). Von Tirana habe ich keine Meldung gefunden. Auch der vor wenigen Tagen gezeigte Film in 3SAT ging ohne weiteres davon aus, daß sie Albanerin gewesen sei.

 

4. Der Streit um die Herkunft von Mutter Theresa könnte uns kalt lassen, wenn nicht auf dem südlichen Balkan Fragen der Herkunft ungeheure aktuelle Bedeutung hätten:

 

Ich erinnere nur an den Namensstreit zwischen Athen und Skopje, der ja eigentlich ein Streit um die Abstammung von Alexander dem Großen ist. Das zeigen die Benennungen von Flughäfen, Stadien usw. und die Errichtung von Alexander-Denkmälern.

Auch die Zwistigkeiten zwischen Sofia und Skopje über eine makedonischen Nation und Sprache sind Streitigkeiten über die Herkunft.

Dasselbe gilt für die Streitigkeiten zwischen dem albanischen Makedoniern und den ethnischen Makedoniern um MT, z.B. aus Anlaß der Aufstellung einer Statue von MT in Rom (21).

 

Was das Buch so spannend macht, ist Oschlies Darstellungsweise. Man hat  immer den Eindruck, Mutter Theresa ist ihm nur der Vorwand, um zu fabulieren, um das Skopje der Jahrhundertwende in aller seiner farbigen Exotik zu schildern (S. 46-79 und passim). Denn  dieser Streit um ihre Herkunft hat Oschlies angeregt, das familiäre, soziale, kulturelle und politische Umfeld von Mutter Theresa und ihrer Familie in zu erforschen. Herausgekommen ist ein faszinierendes Sittengemälde des osmanischen Balkans von vor 100 Jahren. Aber auch die politischen Entwicklungen werden immer wieder gestreift (z.B. S. 171 ff.). Alles in allem ein fleißig recherchiertes und gut geschriebenes Buch über das Skopje vom Anfang des 20 Jh.

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