Erzählung
Aus dem Ungarischen übersetzt von Timea Tankó
ca. 250 Seiten, gebunden
EUR 21,00/35,50

Aus dem Buch
Wir besaßen ein einziges Fotoalbum, das ich ebenfalls bei einer meiner privaten Forschungsexpeditionen gefunden hatte. Ich mußte jedoch feststellen, daß das Schicksal mich nicht mit mir unbekannten Schätzen beschenkte: es waren einige Fotos von Opas altem Haus darin, die jedoch Mama auch in ihrer Brieftasche hatte, außerdem noch einige Bilder von Mama in einem weißen Kleid, sie muß darauf ungefähr zehn oder zwölf Jahre alt gewesen sein. Das Geheimnis dieser Fotografie ist, daß Mama nicht weiß oder mir nicht verraten will, zu welchem Anlaß sie entstanden ist. Wir haben auch eine alte, zerfledderte Pralinenschachtel, darin einige weitere vergilbte Fotografien, auf denen jedoch Mamas Aussage nach ausschließlich solche Leute zu sehen sind, die vor langer Zeit gelebt und die sie nie getroffen habe, ja, die eigentlich bereits alle tot seien, sie wisse selbst nicht, weshalb sie sie aufbewahre. Vielleicht weil diese seit langem zu Staub gewordenen, steifen Gesichter eine beruhigende Sicherheit ausstrahlten, die dem Betrachter vermittle, daß möglicherweise weder das Leben, noch der Tod etwas Schlimmes sei. Diese philosophischen Gedanken sprach Mama ohne jegliche Ergriffenheit aus und im nächsten Moment klappte sie die Schachtel auch schon zu und bat mich, sie an ihren Platz zurückzustellen.

Károly Mehes, geboren 1965 in Pécs. Dichter und Schriftsteller. Arbeitet als Journalist bei der lokalen Tageszeitung »Dunántúli Napló« in Pécs (Kulturressort), der größten Regionalzeitung in Ungarn. Seit 1991 arbeitet er als Journalist im Kulturbereich Publikationen: Seit 1983 mehr als 400 Veröffentlichungen in verschiedenen ungarischen Literaturzeitschriften wie Holmi, Mühely, Jelenkor, Alföld, Kortárs, Vigilia, Élet és Irodalom — aber auch in 
Lichtungen (Graz), Etcetera (St. Pölten) und Podium (Wien). Im Wieser Verlag erschienen: EditionZwei. A szakáll — másodszor. Nem vész el, csak átalakul/Zwei Bärte. Von der Erhaltung der Materie. „;

Zur Übersetzerin
Timea Tankó
, geboren 1978 in Leipzig, lebte viele Jahre in Ungarn, studierte Französisch, Spanisch und Kulturwissenschaften. Sie hat u. a. bereits Antal Szerb und Krisztián Grecsó übersetzt. Heute lebt Timea Tankó mit ihrer Familie wieder in Leipzig.

Rezensionen & Reaktionen

Pressestimmen

Sonntag, 24.05.2009 18:51 Uhr: Literatur aus Ungarn

 

Während hier in Lettland die Tage um mein Bein streichen wie Katzen, und ab und zu einer gähnt und dabei die Zähne zeigt und mich daran erinnert, dass das Leben auch ein Raubtier ist … währenddessen habe ich ein weiteres Buch gelesen: den dicken Roman eines gerade ebenfalls im Schriftstellerhaus weilenden Autoren aus Ungarn, Karoly Mehes. Er heißt „Insgeheim“ und erzählt die Geschichte eines Jungen, später Mannes, dessen Vater von einem Tag auf den anderen aus seinem Leben verschwand. Bis zum Ende klärt sich nicht auf, ob der Vater, ein Geheimpolizist im Ungarn der 70er Jahre, Mutter und Kind aus politischen oder privaten Gründen verloren ging.
Die entstehende große Nähe zwischen Mutter und Sohn scheint mir dennoch das Hauptthema des Buches zu sein – eine Liebe, die viel zu absolut scheint und dennoch von fast wundersamer Schönheit ist. Vier weitere Frauenfiguren, jede eigen gezeichnet, bereichern Leben und Phantasie des Protagonisten.
Zwischendurch habe ich mich gefragt, ob die eigenwillige und dabei stille Geschichte nicht auch auf weniger Seiten hätte erzählt werden können. Dass der Autor die Erzählebene des Öfteren verlässt und über das Geschriebene nachdenkt, fand ich unnötig. Und dennoch … ist dieses Buch eigen und schön und hat mich daran erinnert, dass es viele Lebensläufe gibt – und sei es in der Literatur – die ein Geheimnis bergen, etwas Ungreifbares, und die dennoch … fortlaufen und nach Vollendung suchen.
Karoly Mehes: Insgeheim. Wieser Verlag 2007.

 

 

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