Einführung in die türkische Science-Fiction-Literatur

Von der osmanischen Zeit bis 2000

110 Seiten, englische Broschur

EUR 18,80 / sfr 33,30

 

Die erste Monografie, die türkische Science-Fiction im deutschsprachigen Raum präsentiert. Die grosse Aussagefähigkeit der Science-Fiction-Literatur in Bezug auf (inter)kulturelle Phanomene in der türkischen Bevolkerung ist nicht zu unterschätzen. Diese Art der Literatur, die vielfach abwertend als »trivial« und als pure »Unterhaltungsliteratur« bezeichnet wird, ist oft ein besserer »Spiegel« für kulturelle Verschiebungen innerhalb einer Gesellschaft, als dies in der (klassischen) »Hochliteratur« vielleicht zum Ausdruck kommt. Diverse Phänomene, die in dieser Literaturgattung angerissen werden, wie z. B. die interkulturellen Protagonisten und Antagonisten, verdienen es jedoch, in weiteren Studien noch genauer betrachtet zu werden. Es zeigt sich, dass es in der Türkei eine eigenstandige Science-Fiction-Literatur gibt, die sich seit den 1970er Jahren entwickelt hat. Sie ist zwar ein kleiner, aber mit ihrer Besonderheiten ein wichtiger Teil der internationalen, vom angloamerikanischen Raum dominierten Science-Fiction-Szene.

Inanc Atilgan: Studium der Orientalistik und Geschichte an der Universitat Wien, Mag. phil., Dr. phil., 1996–2001 Mitarbeit an der Erstellung des etymologischen Wörterbuches des »Türkeitürkischen« unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Andreas Tietze, 2002–2005 Tätigkeit in der Abteilung fur Internationale Forschungskooperation des österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft. 2005–2007 Ass.-Prof. Dr. an der Universitat der Union der Türkischen Kammern und Börsen (TOBB-ETU). 2007–2008 Ass.-Prof. Dr. an der Universitat Bilkent. Seit 2008 in der Türkisch-Historischen Gesellschaft. Atilgan ist mit seinem originellen Beitrag zum »Türkeibezug« Freuds Träger des Wissenschaftlerpreises des Freudjahres 2007 in der Türkei. Von Atilgan sind bei Wieser schon drei Bücher erschienen: Österreichs Dilemma 1915, Türken oder Armenier?, Österreichisch-Türkische Wirtschaftsbeziehungen und A Missed Opportunity. Archival Sources of The Viennese Armenian-Turkish Platform.

 

 

 

 

Rezensionen & Reaktionen

Pressestimmen




Inanc Atilgan

Einführung in die türkische Science Fiction Literatur

Von der osmanischen Zeit bis 2000

Sachbuch * Wieser Verlag, Klagenfurt 2008 * 110 Seiten * € 18,80

von Hermann Urbanek

Wie groß sind eigentlich unsere Kenntnisse über die Science Fiction in anderen Ländern, Spezialisten für das eine oder andere Land mal ausgenommen, wie Jörg Weigand für Frankreich oder Erik Simon für einige osteuropäische Länder einschließlich Russlands? Ja, wir kennen einige ausländische Autoren, weil von ihnen schon das eine oder andere längere oder kürzere Werk auf Deutsch erschienen ist, aber was wissen wir über Länder spezifische Eigenheiten und Entwicklungen, das dortige Verlagswesen an sich und den Status, den das Genre in diesen Ländern im Rahmen des literarischen Geschehens inne hat? Wir wissen zwar, dass die Science Fiction amerikanischer Prägung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland ihren Siegeszug angetreten hat und die Fortführung der eigenständigen Tradition, für die u. a. Lasswitz und Dominik standen, abrupt unterbrochen wurde. Aber gab und gibt es auch in den anderen Staaten Europas und der Welt eine gleiche oder ähnliche Entwicklung wie bei uns in deutschen Landen oder haben sie sich die Eigenständigkeit bewahrt, und wenn ja, in welchen Ausmaß?

Traurige Tatsache ist, dass wir nur wenig über das wissen, was sich in Europa in Sachen SF so alles tut und welche Trends es dort gibt. Noch geringer ist bedauerlicher weise unser Wissensstand, wenn es um außereuropäische Länder geht. Und ganz im Argen liegt es um unser Wissen über ein Land, das zwar größtenteils in  Asien liegt und nur mit einem kleinen Zipfel zu Europa gehört, das aber trotzdem bemüht ist, Mitglied in der Europäischen Union zu werden, ein Land, von dem bereits viele Bürger in EU-Staaten ausgewandert sind und dort schon vielfach in zweiter oder gar dritter Generation leben: Die Türkei. Es ist ein Land, von dem in Sachen SF hierzulande bislang noch nichts veröffentlicht wurde, ein Land, das für den SF-Interessierten bislang ein weißer Fleck war. Dass sich das geändert hat, ist das Verdienst von Inanc Atilgan, der sein persönliches Interesse an der türkischen Science Fiction mit seiner jahrelangen wissenschaftlichen Mitarbeit an einem sprachgeschichtlichen und etymologischen Wörterbuch der Türkeitürkischen verbinden konnte und „Das Türkeitürkische als Sprache der Science Fiction. Ein historisch-linguistischer Beitrag“ zum Thema seiner Diplomarbeit machte, die er 2001 an der Universität Wien fertig stellte. Dabei näherte er sich dem Thema wissenschaftlich von der Sprache her an, was aber der Aussagekraft keinen Abbruch tat.

Die nun publizierte Untersuchung der türkischen SF-Literatur stellt dabei eine aufs Wesentliche reduzierte Zusammenfassung dieser Arbeit dar, wobei auf die semantischen Sprachunterschiede – denn die Unterschiede zwischen dem Türkischtürkischen und dem Osmanischtürkischen sind in erster Linie für Sprachwissenschaftler relevant, kaum hingegen für diejenigen, die sich für die SF in der Türkei interessieren – verzichtet wurde. Sie gliedert sich elf ziemlich gleichrangig behandelte Kapitel. Zu Beginn versucht der Autor, die Frage zu beantworten, was denn eigentlich Science Fiction ist, und kommt in der auf die generell dominierende Bedeutung der angloamerikanischen SF zu sprechen, die die europäischen Autoren zurück- und aus dem Markt gedrängt hat. Dass es aber erhebliche Unterschiede im Vergleich zur Türkei gibt und dass dieses Land auch in dieser Beziehung eine völlig andere Welt, ein anderer Kulturkreis mit ganz speziellen Eigenheiten ist, das wird schon relativ bald deutlich. So ortet Atilgan die Wurzeln der türkischen SF im osmanischen Reich, in dem zahlreiche Klassiker der französischen Literatur übersetzt wurden, da es speziell in Istanbul viele Türken gab, die Fremdsprachen konnten und das Französische vorherrschend war. Im Gegensatz zum Osten des Landes, wo es der SF nicht gelang Fuß zu fassen, und dieses Gefälle zwischen dem fortschrittlicheren und offenerem Westen und dem Osten, wo die Traditionen das Leben bestimmen besteht auch heute noch. Die SF moderner Prägung kann auf zwei Wegen ins Land, und zwar einerseits über das Kino und andererseits in Form von Übersetzungen ausländischer Werke. In den 50er Jahren gab es erste diesbezügliche Veröffentlichungen, wobei vor allem amerikanische Autoren wie Robert A. Heinlein, Edmond Hamilton, A. E. van Vogt, Isaac Asimov, Murray Leinster oder Wilson Tucker publiziert wurden, allerdings ohne Nennung der Verfasser. Doch leider waren die Übersetzungen sehr mangelhaft und zudem gab es das Problem, dass es für viele technische Begriffe in dem infolge innerer Umwälzungen lange von der Außenwelt isolierten Staat noch gar keine türkischen Bezeichnungen gab. Und so verlief dieser erste Versuch recht bald im Sand, und erst in den 70er Jahren gab es die nächsten Versuche, diese Literaturform, die hierzulande nicht unter dem international bekannten Begriff „Science Fiction“ läuft sondern „Bilimkurgu“ genannt wird, in der Türkei zu etablieren. Und diese verliefen erfolgreich, zumindest im aufgeschlossenen Westteil des Landes.

Im Laufe der Zeit entstand auch eine eigenständige türkische Science Fiction, der der Verfasser aber abspricht, dass sie eigene Ideen entwickelt hat, sie übernimmt nur die Standard-Topoi der internationalen SF. Die türkischen Autoren lassen ihre Geschichten lediglich in bekannten Gebieten spielen, zumeist in der Türkei selbst, und die handelnden Figuren sind in der Regel ebenfalls Türken. Dieser Versuch, Lokalkolorit in die Handlung einzubringen, geht oft so weit, dass die Übersetzer ausländischer Romane diese durch eigene Textpassagen erweitern, um sie für türkische Leser interessanter zu machen. Grundsätzlich teilt Atilgan die türkischstämmige SF in drei Kategorien ein: die cyber-sozialistische/liberale SF, die westlich orientiert ist und vor allem in den Universitäten Zuspruch findet; die cyber-islamische/religiöse SF, die vor allem von den Auslandstürken geschätzt wird und die die Etablierung des islamischen Systems in der Welt und im Universum der Zukunft zum Inhalt hat; und schließlich die cyber-nationalistische/konservative SF mit ihren patriotischen Grundtönen.

In weiteren Kapiteln wird auf die diversen Ausdrucksformen der türkischen SF, in der auch Gedichte ein große Rolle spielen, eingegangen, es werden die wichtigsten SF-Autoren, Kritiker und Forscher ebenso vorgestellt wie die SF-Periodika, die im Laufe der Jahre erschienen sind, und es wird ein kurzer Blick auf das Verlagswesen geworfen. Zuletzt wird die Frage aufgeworfen, inwieweit das Türkische überhaupt dazu geeignet ist, als Sprache der SF-Literatur zu fungieren, ob sie in der Lage ist, bei Übersetzungen eine adäquate Übertragung zu gewährleisten und wie sich ihr Wortschatz im Laufe der letzten Jahrzehnte verändert hat. Im Anhang listet der Verfasser die seiner Arbeit zugrunde liegende Primär- und Sekundärliteratur auf, zumeist türkische Publikationen, es wird aber auch Bezug genommen auf Veröffentlichungen von Brian Aldiss, Isaac Asimov, Herbert W. Franke, David G. Hartwell, Franz Rottensteiner, Olaf Spittel und Karlheinz Steinmüller, und bietet mit knapp dreißig Abbildungen von Publikationen und Autoren auch eine ideale optische Ergänzung zu der interessanten Materie.

Diese erste Monografie, die die türkische SF im deutschen Sprachraum präsentiert, bietet einen wirklich profunden Überblick über die bislang unbekannte SF-Szene eines völlig anderen Landes. Ein knapp gehaltenes, doch sehr informatives und einen guten Überblick gebendes Sekundärwerk, wie man es sich auch über andere Länder wünschen würde. Leider trüben zahlreiche Druckfehler und auch bisweilen nicht ganz korrekte Satzstellungen den positiven Gesamteindruck ein bisschen, und es wäre auch wünschenswert gewesen zu erfahren, welche Entwicklungen es in den ersten Jahren des neuen Milleniums gegeben hat. Aber das ist vielleicht/hoffentlich das Thema eines weiteren Buchs zum Thema.