Gedichte
ca. 160 Seiten, gebunden, Lesebändchen
EUR 19,50

Ingram Hartinger versucht gleich gar nicht, „alles“ zu sagen, sondern begibt sich vielmehr mit seinen Gedichten auf die Spur dessen, was sich hinter stimmlosen Sätzen verbirgt. Und da kugeln sie daher, die Entwürfe von Gedichten, die noch zu schreiben sind. Geht Stottern der Sprache voraus – oder folgt es? Voilà der Dichtende: Der Vorhang seines Herzens ist leicht geöffnet, wir sehen die Angst und wir sehen die Liebe.

Klammheimlich schleppst du dich hinauf / Zum Antaiji am Fels zum Vers
über ganz / Anderen Widerstand all dies dann Fragen / An dich selbst letztmalig
ein Blick zurück / Vorbeihuschender Nebelschweif die Bewegung / Als Kalligrafie
einer reinen Betrachtung //

Ingram Hartinger: Geboren 1949 in Saalfelden. Studium in Salzburg. Veröffentlichungen seit 1972. Prosa, Lyrik, Essays und Radioarbeiten. Zuletzt bei Wieser: Rabe des Nichts (2010) und Kigo (2012), Das verschmutzte Denken (2014)

Rezensionen & Reaktionen

Pressestimmen

Literatur.Report Kärnten vom 10. April 2016

Fixpoetry.de vom 10. Dezember 2015

Wenn es nicht so unerträglich wäre, könnte man die Angst ja probehalber als etwas Lyrisches beschreiben: Sie ist unverkennbar da, wechselt ständig ihre Konsistenz und niemand weiß, wem sie gehört. Darin ähnelt die Angst einem Gedicht.
Ingram Hartinger, als ausgebildeter Psychotherapeut ein Fachmann für Angst, dreht den Spieß um und lehrt die Dinge das fürchten, indem er „Dinge aus Angst“ vorstellt. Die gut hundertfünfzig Gedichte sind dabei in drei „Schautafeln“ angeordnet, deren Kapitelüberschrift recht gut erkennen lässt, worum es geht. „Der Menschentag ist kein Spiel“ / „Schmerz, Flut von Wut“ / „Unbebilderte Fläche und Rand“
Diese Kapitel von Ernsthaftigkeit, Gefühl und Unbeschreiblichkeit werden jeweils durch eine Felsblockartige Prosa eröffnet. „Jede Wolke ist Sims“, (12) heißt es ganz verheißungsvoll in der Hoffnung, dass dieses schmale Ding zwischen Fenster und Außenwelt zumindest für kurze Zeit Halt geben könnte. Die Landschaft liegt da, der Blick ist intakt, aber „es gibt immer eine Bruchstelle.“
So haben die einzelnen Gedichte auf den ersten Blick meist eine verlässliche Struktur, es gibt einen vielversprechenden Titel, eine lyrische Abarbeitung der Materie und als Abschluss die Auswirkung des Gedichtes auf das schreibende Ich, das manchmal innig die Gestalt des Autors annimmt. „Paroxysmus // Er blieb stumm. / Was wusste er schon von sich / […] // Ingram zwickt sich / am Ohrläppchen. Sein wildes /Herz ist eine Konserve. Der / Tod ein Desaster. Versank / so wie eh und je.“ (23)
Die Titelgebende Fügung entstammt jenem Teil eines Gedichtes, in dem die Auswirkung auf das Subjekt zu Tage treten. „Dinge aus Angst liegen in der Luft gleich der Nichterlösung eines Traums. Die Welt scheint aus ihnen gemacht, ebenso das uralte Scheitern des Unendlichen. Denn wer da Unglück sucht und Reu, dem werden sie entgegeneilen.“ (18)
Obwohl die Dinge der Angst beim Namen genannt werden, lassen sie sich vielleicht deshalb aushalten, weil es eine Sprache für diese beängstigenden Anfälle gibt. In einem Augenblick der Trauer ist gerade die Härte der Empfindung der letzte Halt.
„Umgestaltungselegie / Ich sitze am Grab meiner Schwester, / weine bitterlich. Gazelle | wenngleich / du fern bist | bist du meinen Knochen / näher als ich.“ (71)
Oft sind es einzelne Wörter, Satzellipsen oder Beschwörungsformeln, die das Schaudern über der lesenden Seele ausschütten: Himmelsbrei (33) / Ende April (39) / Im Flügelgleich der Birkenäste (45) / Das Phänomen Rapsöl, Ingram im Morgengrauen (103).
„Traumfaden // Ich weiß / Etwas fliegt mir / Davon // Im / Langwierigen / Licht // Letztes Lied / Zur / Todeszeit (131)“
Ab und zu taucht dieses „Ferndorf“ auf, das auf keiner Karte verortet ist und deshalb von der „Pflanze Mensch“ (158) herbeigesehnt wird.
Ingram Hartingers Gedichte sind nie Beruhigungspillen, ganz lyrischer Therapeut bohrt er seine Leser auf mit scharfen Themen, vieles bleibt offen und verschafft sich so frische Luft. Verlässlich ist nur der Sims der Wolke, von dem aus du die Dinge der Angst schauen sollst.

Helmuth Schönauer 11/2015